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Interview: Jost Capito zu Volkswagen Motorsport

Seit dem 1. Mai dieses Jahres verantwortet Jost Capito (53) den Volkswagen Motorsport. Wir hatten jetzt Gelegenheit, dem Nachfolger von Chris Nissen Fragen zum aktuellen Stand bei Volkswagen Motorsport, zum Engagement in der WRC und zur aktuellen technischen Entwicklung sowie zur Mannschaft zu stellen.

Jost Capito hat Jahrzehnte Rennsporterfahrung gesammelt, unter anderem in der Formel 1. Seine Laufbahn begann 1984 als Entwicklungsingenieur für Hochleistungsmotoren bei BMW. Ab 1989 war Capito bei Porsche Leiter der Carrera-Cup-Organisation, später übernahm er die Gesamtverantwortung für alle Porsche-Markenpokale. Von 1996 bis 2001 war er bei Sauber Petronas Engineering tätig, ab 1998 Chief Operating Officer im Sauber Red Bull F1-Team. Ende 2001 wechselte Capito zu Ford, wo er zuletzt die weltweite Verantwortung für die Performance-Fahrzeuge und die Motorsportstrategie trug.

„Wie würden Sie Ihre Philosophie für den Motorsport umschreiben?“

„Motorsport gehört für einen Automobilhersteller einfach dazu. Es ist ein Feld auf dem man seine Produkte und seine Technologien zeigen kann, ein Feld auf dem man sich mit der Konkurrenz misst und seine Führerschaft unter Beweis stellen kann. Motorsport ist ein verkaufsförderndes Mittel, mit dem man Menschen für eine Marke, für ein Produkt emotional begeistern kann. Das Motto: Win on Sunday, sell on Monday ist meiner Meinung nach immer noch existent.

„Kris Nissen hat große Fußstapfen hinterlassen – drei Dakar-Siege, Scirocco R Cup mit revolutionärem „Push to pass System“ und das erfolgreiche F-3-Engagement mit Volkswagen-Motoren. Wie werden Sie sein Vermächtnis fortführen?“

„Was der Kris in neun Jahren aufgebaut hat, ist großartig. Es ist sicherlich schwer, so erfolgreich weiterzumachen, aber die Voraussetzungen sind da, um Volkswagen Motorsport erfolgreich weiterzuführen. Für das Engagement in der WRC ist eine sehr große Umstrukturierung notwendig. Im Gegensatz zur Dakar, wo man ein ganzes Jahr auf ein Event hinarbeitet, geht es bei der WRC um jährlich 13 WM-Läufe. Es müssen Abläufe, Strukturen und Prozesse geändert werden. Das läuft aktuell und muss schnell abgeschlossen werden, damit alles eingespielt ist, wenn es ab 2013 in die erste volle Saison der WRC geht.“

„Als erfahrener Mann aus der Rallye-Szene: Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand des WRC-Projektes von Volkswagen Motorsport?“

„Volkswagen ist erfolgsverwöhnt und ehrgeizig. Das gilt auch für den Einsatz in der WRC. Aber im Gegensatz zu den etablierten Teams von Ford und Citroen, kann Volkswagen noch nicht auf eine zehnjährige Erfahrung im Rallye-Zirkus zurückgreifen. Die WRC ist für unser Auto, unsere Technik und unsere Mannschaft absolutes Neuland. Aktuell liegen wir jedoch auf Kurs, sind im Plan. Das Auto ist zuverlässig, und das ist der Hauptpunkt. Denn ein zuverlässiges Auto schnell zu bekommen ist einfacher, als ein schnelles Auto zuverlässig zu bekommen. Wir sind in allen Bereichen dort, wo wir sein sollen. Es gibt noch viele Tests und viele Dinge die wir noch verbessern werden. Darauf arbeiten wir hin. Ich denke, dass wir Anfang 2013 ein konkurrenzfähiges Auto haben werden.“

„Werden Sie, wie auch Kris Nissen auf die große Erfahrung von Carlos Sainz als Berater bauen?“

„Ja, absolut. Es war ein kluger Schachzug, Carlos Sainz zu involvieren. Er kommt aus der Rallye-WM und ist wahrscheinlich deshalb noch wertvoller als für die Dakar, weil die Rallye-WM sein Leben gewesen ist. Diese Erfahrung ist unschätzbar und deshalb führe ich die Arbeit mit Carlos sehr gerne fort.“

„Wen haben Sie in der WRC als Hauptgegner identifiziert (Hersteller und Fahrer)?“

„Ford und Citroen fahren auf einem sehr hohen Niveau. Sie sind lange dabei und haben sehr viel Erfahrung. Das darf man nicht unterschätzen. Doch auch Mini darf man nicht außer Acht lassen. Sie haben ein sehr starkes Auto, obwohl es kein Werkseinsatz mehr ist. Der Mini ist eine sehr gute Basis, falls sich die Marke doch wieder auf einen Werkseinsatz besinnen sollte. Bei den Fahrern halte ich sehr viel von Sébastien Loeb und Mikko Hirvonen. Sordo, Latvala und Solberg sind sehr gut. Aber mit Sébastien Ogier haben wir einen ersten Fahrer, der in der Lage ist, mit den Top-Fahrern sehr gut mitzuhalten. Insgesamt darf man die derzeit ersten sechs platzierten Teams nicht unterschätzen.“

„Was macht Volkswagen im Motorsport, insbesondere in der WRC, anders als Ford und Citroen?“

„Man muss da vorsichtig sein. Für Volkswagen ist alles komplett neu. Wir haben erfahrene Leute, die ihre Kenntnisse mit einwerfen. Ich glaube, dass wir mit unserem Wissen manche Dinge leicht anders machen. Das gesamte Format der WRC ist jedoch vorgegeben. Man hat relativ wenig Freiräume. Was man macht, muss man perfekt machen. Und ich glaube, wir sind derzeit noch in der Phase, in der das Team von Ford und von Citroen lernen kann.“

„Wie viele Werkswagen planen Sie beim WRC-Debüt 2013 in Monaco einzusetzen?“

„Zwei Autos. Während der Saison ist es ein denkbares Szenario, auch noch ein drittes Auto an den Start zu bringen. Aber erst, wenn man alles im Griff hat und alles so funktioniert, wie wir uns das vorstellen und genug Erfahrung im Team vorhanden ist. Wann es soweit ist, ob 2013 oder erst 2014, das hängt wirklich davon ab, wie der Fortschritt innerhalb des gesamten Teams ist.“

„Können Sie schon etwas zu den Besatzungen sagen?“

„Das erste Auto wird von Sébastien Ogier und Julien Ingrassia gefahren werden. Zum zweiten Auto können wir noch nichts sagen.“

„Wie steht es mit der Heranführung von Nachwuchsfahrern, zum Beispiel mit Andreas Mikkelsen?“

„Kris Nissen hat ein sehr gutes Nachwuchskonzept entwickelt. Es wächst bereits jetzt eine neue Generation von jungen talentierten Nachwuchsfahrern heran. Ein Beispiel ist Andreas Mikkelsen. Er ist ein sehr großes Talent, führt in der IRC. Wir arbeiten derzeit mit Andreas Mikkelsen, Kevin Abbring und Sepp Wiegand. Da kommen drei gute Fahrer hoch, die den alt eingesessenen schon das Wasser reichen können. Aber wir ziehen nicht drei Fahrer parallel hoch, sondern einen nach dem anderen.“

„Die Entwicklung des WRC-Polo schreitet rasch voran. Auf welche Kompetenzen welcher Konzernmarken greifen Sie dabei zurück?“

„Der WRC-Polo wird in erster Linie hier bei uns im Haus entwickelt. Die Erfahrungen sammeln wir mit dem Skoda Fabia S2000. Und die Zusammenarbeit mit den Kollegen von Skoda ist sehr gut, sehr intensiv und sehr kollegial. Wobei es auch schon wechselseitig ist – sie lernen auch schon Dinge von uns. Keiner hält sich zurück: Wenn wir eine Frage haben, dann tauschen wir uns aus. Es ist ein sehr offenes Arbeitsverhältnis. Das gleiche gilt auch für Seat. Sie haben in der Vergangenheit viel WRC-Erfahrung sammeln können. Es gibt regelmäßige Besprechungen. Aber die Hauptverantwortung liegt hier bei uns. Der Motor ist eine komplett neue Eigenentwicklung von Volkswagen Motorsport. Es ist der erste „Global Race Engine“ im Konzern. Natürlich haben sich die Motorenabteilungen aller Marken dazu ausgetauscht, um bei der Entwicklung auf die am besten geeigneten verfügbaren Technologien und Lösungen zurückgreifen zu können. Für das Fahrzeug gilt das gleiche.“

„Welche Konzernmarken dürfen fertig entwickelte Komponenten – beispielsweise den Motor vom WRC-Polo für Ihre Racing-Projekte einsetzen?“

„Zunächst muss ein Bedarf da sein. Ich glaube, als „global race engine“ macht es Sinn, bei Bedarf anderer Konzernmarken auf diesen Motor zurückgreifen zu können. Ich sehe da echte Möglichkeiten.“

„Wie ist das Engagement von Volkswagen Motorsport aktuell im Konzern eingeordnet? Motorenentwicklung (Turbokompetenz) ist das Eine – NASCAR und Rallye Cross stehen immer wieder im Fokus von Spekulationen.“

„Der Fokus ist ganz klar auf die WRC gerichtet. Das ist der Bereich, wo Volkswagen Motorsport erfolgreich sein muss und Erwartungen erfüllen soll. Da setzen wir unser Augenmerk drauf und sehen zu, dass wir uns nicht verzetteln. Man macht lieber eine Sache richtig, als drei Dinge nur halb. Auf der anderen Seite ist es für uns wichtig, etwas für den amerikanischen Markt zu tun. Da haben wir Nachholbedarf. Rallye Cross wäre da sicherlich ein Thema, weil es auch eine Verbindung zum Rallye-Sport hat und die derzeit am schnellsten wachsende Popularität in den USA hat. Man muss sich das schon genauer ansehen. Stage-Rallye in den USA macht eher weniger Sinn, weil es den Amerikanern schwer zu vermitteln ist. Als erstes konzentrieren wir uns auf die WRC und danach kommt erst einmal lange Nichts – und dann sieht man weiter.“

„Zwischen Volkswagen und Skoda könnte es im Rallyebereich Überschneidungen geben, auch wenn der S2000 bislang mit einem Saugmotor ausgestattet ist?“

„Durch die gute Kooperation zwischen den Motorsportabteilungen von Skoda und Volkswagen sehe ich da überhaupt keine Probleme. Wir arbeiten zusammen und da gibt es eher positive Synergien, die uns allen weiterhelfen. Reibereien wird es nicht geben, zumal ich Herrn Hrabanek noch aus meiner Ford-Zeit kenne und damals schon ein gutes Verhältnis mit ihm hatte.“

„Was macht das innerhalb der Mannschaft deutlich gelebte „Teamwork“ bei Volkswagen Motorsport besonders aus?“

„Das wichtigste ist der Teamgeist, denn Motorsport ist immer ein Mannschaftssport. Es gibt keinen anderen Sport, in dem es so viele unterschiedliche Funktionen innerhalb einer Mannschaft gibt. Ein gutes Team zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Glied der Kette stark ist. Jede Position muss von der richtigen Person ausgefüllt werden und jeder muss auch jeden unterstützen. Das passt bei Ford und auch bei Citroen sehr gut. Das sind eingespielte Teams, wo der Teamspirit passt. Wenn man hier schlecht ist, hat man keine Chance zu gewinnen.“

„Wie wurden Sie als neuer Mann von der Mannschaft aufgenommen?“

„Ich würde sagen: sehr gut, absolut positiv. Und da ich Kris Nissen schon lange kenne, wir uns gut verstehen, war vieles für mich zu Beginn hier sehr leicht. Wir arbeiten auch jetzt gut zusammen. Es gibt keine Spannungen zwischen uns und das ist gut für alle. Es ist eine Kontinuität da und ich stehe zu meiner neuen Mannschaft und möchte sie weiter entwickeln, nicht umkrempeln. Und ganz wichtig: Wir führen eine offen Kommunikation in der gesamten Mannschaft. So weiß jeder alles. Ich habe ein sehr gutes Gefühl mit dem gesamten Team.“

„Was ist das besondere an der Zusammensetzung des Teams Volkswagen Motorsport?“

„Das Besondere ist die hohe Dynamik in unserem Team. Es sind viele verschiedene Charaktere die alle ein bisschen verrückt sind. So eine Mischung braucht man, um im Motorsport erfolgreich zu sein. Der Mix aus verschiedenen Nationalitäten, Interessen, Erfahrungen, Kulturen und persönlichen Eigenschaften machen unsere starke Basis aus – das macht einfach Spaß.“

„Konnten Sie sich schon mit Dr. Hackenberg bezüglich technischer Entwicklung austauschen?“

„Ich glaube, dass der Motorsport von Volkswagen in der Vergangenheit erfolgreich war und künftig weiter erfolgreich sein wird. Da hat Dr. Hackenberg einen sehr großen Anteil dran. So wie ich Ihn und seine Arbeit in den ersten Wochen kennengelernt habe, macht er das sensationell. Er unterstützt uns, er gibt wertvolle Tipps, er bietet die komplette Unterstützung seines großen Teams an, aber er sagt, „Jost, Du machst das Geschäft.“ Wir konnten in den vergangenen Wochen schon ein gutes Vertrauensverhältnis aufbauen, so dass er weiß, dass wir hier bei Volkswagen Motorsport das Richtige tun und wir uns bei Fragen oder Problemen an ihn wenden, so dass er früh genug Bescheid weiß und er uns mit seinem Rat zur Seite stehen kann. Wir bekommen alle Unterstützung, die wir brauchen und das ist wichtig. Das Wissen und die Rückendeckung des gesamten Konzerns im Hintergrund machen die extrem große Stärke aus. Und da spielt Dr. Hackenberg eine extrem wichtige Rolle.“

„Was ist aus Ihrer Sicht typisch deutsch bei Volkswagen Motorsport?“

„Ich würde weniger typisch deutsch sagen, sondern eher typisch preußisch: Die Disziplin und das fokussiert sein. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu akzeptieren und dann auch zu leben. Ich denke das ist eine Charakterstärke von Volkswagen Motorsport.“

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