Interview: Was steckt hinter dem „Bumpertest“?

Das Allianz Zentrum für Technik (AZT) informierte kürzlich bei einer Presseveranstaltung vor Ort über die Nützlichkeit eines Crashtests, bei dem das Augenmerk auf das Deformationsverhalten eines Pkws im Bereich der Stoßfänger gerichtet ist. Bei Auffahrunfällen sind immer wieder zuerst die Stoßfänger gefordert, ihrem Namen Ehre zu machen. Für auto-reporter.net waren Untersuchungen dazu Veranlassung, dem Leiter des AZT, Dr. Christoph Lauterwasser, Fragen zu stellen.

?: Herr Dr. Lauterwasser, die naheliegende Überlegung ist, dass bei allen Pkws in gleicher Höhe vorgesehene Stoßfänger erste Voraussetzung für geringe Schäden beim Aufeinandertreffen zweier Pkws sind. Warum hat es so lange gedauert, eine entsprechende Forderung zu stellen?

Dr. Lauterwasser: Als der AZT Crash-Reparaturtest in den 80er-Jahren eingeführt wurde, ging es zunächst darum, das Deformationsverhalten der Fahrzeuge generell zu verbessern. Damals waren selbst bei 15 km/h die Schäden so schwer, dass der ganze Vorderwagen betroffen war. Der AZT Crash-Reparaturtest hat zu einer erheblichen Verbesserung des Crashverhaltens moderner Fahrzeuge beigetragen. In einem zweiten Schritt wurde die Anpassung der Stoßfänger sinnvoll. Wir sehen den Bumpertest heute als eine zusätzliche Maßnahme. Sie soll ergänzend zum AZT-Strukturtest dazu führen, dass bei Fahrzeugkollisionen nicht nur die Energie abgebaut, sondern auch so aufgenommen werden kann, dass der Schaden beider Unfallgegner begrenzt bleibt. Es musste dabei beachtet werden, dass die Fahrzeughersteller für die Umsetzung eines solchen Crashtests in neuen Modellen einen gewissen Vorlauf benötigen.

?: Wie hoch ist der prozentuale Anteil typischer Auffahrunfälle mit Schäden im Stoßfängerbereich im Verhältnis zur Gesamtzahl der Unfallkonstellation Pkw gegen Pkw?

Dr. Lauterwasser: Etwa jeder fünfte Kollisionsschaden in Vollkasko ist ein Auffahrunfall Pkw gegen Pkw. Der überwiegende Teil davon betrifft den Stoßfängerbereich der Fahrzeuge.

?: Hat es bei der Untersuchung des AZT, mit welcher technischen Detailvorsorge der Schadenumfang minimiert werden kann, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Automobilherstellern oder anderen Instituten gegeben?

Dr. Lauterwasser: Der Bumpertest wurde gemeinschaftlich mit Instituten weltweit erarbeitet, die im sogenannten Research Council for Automobile Repairs (RCAR) organisiert sind. Mitgewirkt haben unter anderem das Institut Thatcham aus England und das Insurance Institut for Highway Safety in den USA. Im Zuge der Entwicklung wurden viele Gespräche mit Automobilherstellern weltweit geführt, um hier auch deren Belange richtig einzuordnen und in den Testverfahren zu berücksichtigen.

?: Waren Elemente des AZT Crash-Reparaturtests, den es ja schon länger gibt, erkenntnisfördernd beim Bumpertest?

Dr. Lauterwasser: Im AZT und auch in anderen Instituten wurde über die Jahre eine Vielzahl von AZT-Strukturtests durchgeführt. Dabei haben wir gesehen, dass Konstruktionen vertreten waren, die sehr eng auf die Spezifikation dieses Tests zugeschnitten waren und die bei uns Zweifel hervorgerufen haben, ob sie auch in der Praxis funktionieren. Dies hat sich dann in der Schadenstatistik widergespiegelt. Insbesondere gab es Fälle, wo der Querträger im Heckbereich und Frontbereich weggelassen worden war, sodass nur noch Crashboxen an die Fahrzeuge montiert waren, was bei einem Realunfall das Schadenmaß erheblich steigerte, statt es zu reduzieren. Die Versicherungseinstufung kann sich angesichts der Ergebnisse des nun verbindlichen Bumpertests um bis zu zwei Klassen verändern.

?: Hat der Test international Gesetzeskraft?

Dr. Lauterwasser: Die Versicherungseinstufung funktioniert je nach Markt und Land sehr unterschiedlich. Das deutsche Einstufungssystem wird von den meisten Versicherern in Deutschland verwendet, hat jedoch keine Auswirkung auf die Einstufung in anderen Ländern. Es ist zudem eine privatwirtschaftliche Initiative mit keinerlei Gesetzeskraft. Der Bumpertest wird aber in vielen anderen Ländern verwendet.

?: Wie setzt sich die internationale Arbeitsgruppe RCAR zusammen? Womit beschäftigt sie sich? Welche gesetzlichen Bestimmungen oder international verbindlichen Richtlinien basieren inzwischen auf den Arbeitsergebnissen der Gruppe?

Dr. Lauterwasser: Die internationale Arbeitsgruppe RCAR setzt sich aus 24 versicherungsnahen Instituten weltweit zusammen. Sie beschäftigt sich mit dem Crashverhalten von Fahrzeugen, mit Reparaturlösungen für Fahrzeuge und auch mit Fahrerassistenzsystemen. Die Standards, die in den Arbeitsgruppen von RCAR erarbeitet werden, haben keine Gesetzeskraft, sind aber in vielfältiger Weise wegweisend für die Autohersteller im Hinblick auf Crashreparaturen und versicherungstechnische Themen.

?: Welche Stellung hat das Allianz Zentrum für Technik innerhalb des RCAR?

Dr. Lauterwasser: Das Allianz Zentrum für Technik war eines der Gründungsmitglieder von RCAR. Wir sind in diversen Arbeitsgruppen des RCAR vertreten und zudem Mitglied des internationalen Steuerungsgremiums. Die Gruppe, die den Bumpertest entwickelt hat, stand unter der Leitung des AZT.

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