Countdown Oschersleben: Suche nach dem Fluchtweg

(adrivo.com) Über viele Kilometer hinweg hat sich das Heck des vorausfahrenden Fahrzeugs ins Gehirn eingebrannt, in der Dirty Air des Vordermanns ist die Fahrzeugbalance aus dem Gleichgewicht, die Kühlung ins Stocken geraten – doch an ein Überholmanöver ist nicht zu denken. Die Konzentration des Piloten lässt nach, er sehnt nur noch einen Moment herbei: Den des ersten Boxenstopps, der zunächst freie Fahrt und später Positionsgewinne verschaffen soll…

Viele Jahre lang war eine geglückte Boxenstoppstrategie die große Hoffnung der rasenden Prozessionsteilnehmer – doch die Fluchtwege, die in Oschersleben einen Sprung nach vorne versprechen, sind 2008 noch spärlicher als gewohnt.

3,7 Kilometer ohne Fluchtweg

Die 3,696 Kilometer lange Motorsport Arena Oschersleben ist für die Piloten keine Unbekannte. Nach den Rennen der vergangenen Jahre, aber auch nach den ITR-Testfahrten in Oschersleben 2007 und 2008 bestehen genügend Erfahrungswerte. "Es gibt nicht viele Geraden, aber häufige Richtungswechsel durch sehr unterschiedliche Kurvenkombinationen, die mir gut gefallen. Von sehr langsamen Ecken bis hin zur schnellen Dreifach-Linkskurve wird viel Abwechslung geboten", beschreibt Mike Rockenfeller das Profil des Kurses. Trotz vereinzelter schnellerer Passagen gilt die Strecke in der Magdeburger Börde jedoch als eine der langsamsten des DTM-Rennkalenders.

Seit jeher ist der enge Kurs für einen Mangel an Überholmöglichkeiten bekannt – zu wenig aufregenden Prozessionsfahrten kam es in den vergangenen Jahren mehr als einmal. Mit dem Umbau der einst flüssigen Links-Rechts-Schikane nach Start und Ziel sollte die Überholproblematik entschärft werden. Doch die rechtwinklige Linkskurve, die nun in die Schikane führt, löste bei den Piloten schon während der Testfahrten im vergangenen Jahr nur wenig Begeisterung aus.

"Die Strecke war zuvor flüssiger, jetzt ist dort sehr viel mehr Können beim Anbremsen gefragt. Insgesamt finde ich allerdings, dass der gewünschte Effekt von deutlich mehr Überholmanövern hin zur ersten Linkskurve nicht eingetreten ist", schließt sich auch Rockenfeller der vorherrschenden Meinung an. Der befürchtete Startcrash in der engen ersten Kurve blieb 2007 zwar aus – nach den schmerzhaften Erfahrungen der ersten Hockenheim-Runde und allgegenwärtigen Diskussionen um den wenig gelungenen Streckenumbau. Dennoch ist das Risiko eines mehr oder weniger großen Karbonscherbenhaufens unmittelbar nach dem Start groß…

Gesperrte Fluchtwege am Kommandostand

Trotz weniger Überholmanöver auf der Strecke ist der letztjährige Lauf in Oschersleben in Erinnerung geblieben: Mit Gary Paffett siegte erstmals in der DTM-Geschichte ein Jahreswagenpilot – der sich mit einer ungewöhnlichen Boxenstoppstrategie von Startplatz elf aus ganz an die Spitze gearbeitet hatte. Ein früher Stopp in Runde sechs, mit dem sich der Brite freie Fahrt verschaffte, sowie ein weit hinausgezögerter zweiter Stopp waren das Erfolgsgeheimnis. So brachte die Rennstrategie damals die nötige Würze in ein auf der Strecke wenig fesselndes Rennen – während jedoch erste Diskussionen um Unübersichtlichkeit der Taktiken und Intransparenz für den Zuschauer entbrannten.

Nicht zuletzt die Erfahrungen von Oschersleben gaben den Ausschlag für die Einführung des Boxenstoppfensters, das zum Saisonauftakt in Hockenheim den Erfolgsfaktor Strategie fast völlig eliminierte. Am kommenden Sonntag werden strategische Ratespiele für den Zuschauer zwar ausbleiben. Das Boxenstoppfenster, das diesmal die Runden 15 bis 29 umfasst, bringt die Piloten jedoch in ein Dilemma: Mangels Überholmöglichkeiten sind Aufholjagden diesmal weder auf der Strecke noch in der Boxengasse wirklich Erfolg versprechend…

"Das Qualifying ist in diesem Jahr wichtiger denn je", bestätigt Tom Kristensen die Wichtigkeit eines guten Startplatzes; Teamkollege Martin Tomczyk stimmt zu: "In Oschersleben wissen wir, dass das Überholen dort sehr schwierig ist. Dort zählt das Qualifying – wir müssen auch in Oschersleben wieder ganz vorne stehen." Positiver Nebeneffekt: Für im Qualifying weniger gut platzierte Piloten erhöht sich diesmal der Druck, schon vor dem ersten Boxenstopp Überholversuche zu starten. So werden in Oschersleben vermutlich mehr erfolgreiche wie missglückte Überholmanöver für Action sorgen als in den Vorjahren…

Stuttgarter Flucht nach vorn?

Mit Blick auf das Kräfteverhältnis der beiden Marken dürften beim zweiten Saisonlauf in Oschersleben größere Überraschungen ausbleiben. Zu wenig Zeit blieb Mercedes, den aerodynamischen Rückstand der neuen C-Klasse aufzuholen. "Zwar können in dieser Zeit die Achskinematik und die Gewichtsbalance optimiert, der Input aus Hockenheim umgesetzt werden. Konstruktiv muss sich Mercedes beim zweiten Lauf jedoch mit den Stärken und Schwächen der aktuellen C-Klasse abfinden", prognostiziert adrivo.com DTM-Experte Manuel Reuter.

Dennoch sieht er das Rennen für die Stuttgarter noch lange nicht verloren. Reuter verweist auf die auch im vergangenen Jahr durchaus konkurrenzfähigen Mercedes-Performance auf der "Audi-Strecke" Oschersleben: "Die starke Traktion könnte in der langsamen Motorsport Arena durchaus für Mercedes sprechen. Dem stehen die mittelschnellen Passagen gegenüber, die für Audi von Vorteil sind." Im Nachhinein ist die Gesamtbestzeit Timo Scheiders bei den Oscherslebener ITR-Tests durchaus als deutlicher Hinweis auf eine viel versprechende Performance des neuen A4 DTM zu deuten.

Lediglich die Gewichtsverteilung, die für die neuen Audi-Boliden zehn Kilogramm mehr Gewicht als für die aktuelle C-Klasse vorsieht, bereitet den Abt-Audi-Piloten Kopfschmerzen – dem einen mehr als dem anderen. "Das Gewicht wird der Leistung nicht so abträglich sein. In den letzten Jahren haben wir gezeigt, dass uns die Strecke sehr gut liegt", gibt sich Martin Tomczyk gelassen, während Tom Kristensen auf gute Vorbereitung setzt: "Bis Oschersleben werden wir mit den Ballastgewichten ein wenig spielen…"

© adrivo Sportpresse GmbH

UNSERE TOP-ANGEBOTE FÜR SIE

MEHR ERFAHREN AUS DEM BEREICH NEWS

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Stärker war noch kein Serien-Porsche

Stärker war noch kein Serien-Porsche

zoom_photo