Dr. Wolfgang Ullrich im Interview: Schwierigstes Jahr, das wir je erlebt haben

(adrivo.com) Die Saison 2007 hat auch den Audi-Sportchef Nerven gekostet. Im Dialog mit der adrivo Sportpresse zieht er Bilanz – und spricht über die Veränderungen für 2008.

Wie lautet Ihr Fazit der Saison?

Dr. Wolfgang Ullrich: Es war die schwierigste Saison, die wir bisher erlebt haben, aber insgesamt auch die erfolgreichste. Wir haben bis zum Schluss alles geben müssen, um das Gold sowohl in der DTM als auch bei den Sportprototypen holen zu können. Nun sind wir umso glücklicher, das geschafft zu haben, denn es war unglaublich viel konzentrierte Arbeit.

Auch die DTM insgesamt hat eine schwierige Saison erlebt. Wie bewerten Sie angesichts einiger chaotischer Rennen die Außenwirkung?

Dr. Wolfgang Ullrich: Es gab sicherlich ein paar Rennen, die nicht so gelaufen sind, wie man es sich vorgestellt hatte. Dennoch hat es auch sehr viele sehr gute Rennen gegeben. Wir haben gesehen, auf welch hohem Niveau die DTM ist, sowohl auf Seiten der Fahrzeuge als auch der Fahrer und Teams. Ich bin auch davon überzeugt, dass es sehr gut funktioniert hat, über die Basis- und Zusatzgewichte die drei Fahrzeugjahrgänge zusammenzubringen. Zum ersten Mal war es wirklich möglich, mit Vorjahresautos aufs Podest zu fahren oder sogar zu gewinnen – das hat die Leistungsdichte entsprechend verstärkt. Einerseits ist das für die Zuschauer etwas Tolles, andererseits darf man sich unter diesen Umständen auch nicht wundern, dass es in den Zweikämpfen oft etwas härter wurde. Wichtig ist, im Zweikampf zu wissen, wie weit man dabei gehen kann und wann man zu weit geht – wir haben alle versucht, daran zu arbeiten.

Die Fahrer haben oft die unkonstante Vergabe von Strafen bemängelt. Wie beurteilen Sie den Vorschlag, einen erfahrenen Rennfahrer als Mitglied oder Berater der Rennleitung einzusetzen?

Dr. Wolfgang Ullrich: Dazu kann ich mich im Detail nicht äußern. Zurzeit arbeiten wir daran sicherzustellen, dass die Dinge, die in diesem Jahr falsch gelaufen sind, im kommenden Jahr nicht noch einmal passieren. Wir müssen einen weiteren Schritt machen, um die DTM nochmals attraktiver zu gestalten – und ich glaube, dass uns das auch gelingen wird.

Haben die Debütanten Lucas Luhr, Mike Rockenfeller und Alexandre Prémat Ihre Erwartungen erfüllt?

Dr. Wolfgang Ullrich: Ich glaube, dass Mike und Alexandre einen sehr guten Job gemacht haben. Wir wissen alle, dass der 2006er-Audi gerade für jemanden, der neu in die DTM kommt, nicht einfach zu fahren war. Gemessen daran sind sehr gute Ergebnisse herausgekommen. Lucas hat leider nicht das Glück auf seiner Seite gehabt und konnte während der Saison nicht das erreichen, was er sich vorgestellt hatte. Wir werden mit den Fahrern in die kommende Saison gehen, die nach unserer Überzeugung zur Titelverteidigung beitragen können.

Inwieweit beziehen Sie für Ihre künftige Fahrerwahl das Formel-3-Programm von VW mit ein?

Dr. Wolfgang Ullrich: Das VW-Engagement in der Formel 3 ist ein Teil unserer konzerninternen Fahrerbewertung. Zurzeit ist es noch im Aufbau, aber ich bin mir sicher, dass es in Zukunft ein sehr gutes Hilfsmittel sein wird. Schon mit Blick auf den Polo Cup, den Seat León Supercopa und das Seat-Engagement in der WTCC haben wir die konzerninterne Zusammenarbeit bereits in gewissem Maße genutzt. Durch den VW-Einsatz in der Formel 3 verbreitern wir noch einmal die Basis, denn wir haben gesehen, dass sich die Fahrer, die die Formel 3 erfolgreich verlassen, auch in der DTM sehr gut schlagen. Die früheren F3-Fahrer wissen, wie aufwändig ein DTM-Wochenende abläuft, denn das ist eines der Kriterien, die die DTM so schwierig machen.

Als Nachfolger von Vanina Ickx ist eine Frau im Gespräch. Muss es zwingend eine Pilotin werden?

Dr. Wolfgang Ullrich: Ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, eine Dame im Team zu haben. Wir werden uns nun intensiv damit beschäftigen, eine junge Dame ins Team zu integrieren, die etwas für sich selbst und für die Marke Audi erreichen kann.

Es fällt auf, dass es bislang nur Timo Scheider gelungen ist, vom Audi-Jahreswagen in den Neuwagen aufzusteigen. Wäre es sinnvoll, die Zahl der Neuwagen zu erhöhen, damit der Einstieg in die DTM für junge Talente nicht unattraktiv ist?

Dr. Wolfgang Ullrich: Ich weiß, dass es schwierig ist, in einen Neuwagen aufzusteigen, wenn man zwei Jahre im Vorjahresauto gefahren ist. Man muss allerdings auch verstehen, dass die Zahl von vier Neuwagen unter den Herstellern zurzeit so abgestimmt ist. Wenn ich in den vier A-Autos, wie es bei uns der Fall ist, vier absolute A-Fahrer habe, kann ich leider auch den Fahrern, die es eigentlich verdient hätten, nicht schon im ersten Jahr im Vorjahresauto ein aktuelles Fahrzeug geben. Deshalb sind wir bei der Cockpitbesetzung gelandet, die uns im nächsten Jahr bevorsteht.

Für 2009 steht ein komplett neues Technisches Reglement im Raum. Wäre es nicht geschickter, daher schon 2008 mit mehr aktuellen Autos anzutreten?

Dr. Wolfgang Ullrich: Dabei geht es auch um die Logistik, die man stemmen muss. Mit den vier Neuwagen ist man gut ausgelastet, insbesondere dann, wenn man wie wir für 2008 ein komplett neues Fahrzeug entwickeln muss. Daher sehe ich für das kommende Jahr keine logistische Möglichkeit, mit mehr als vier neuen Fahrzeugen an den Start zu gehen.

Wie ist der Stand der Entwicklung des neuen A4?

Dr. Wolfgang Ullrich: Wir hatten mit einem Komponententräger bereits einen Test hinter uns, und wir werden mit dem zu 90 Prozent neuen Auto in Kürze einen weiteren Test fahren.

Gibt es noch Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger?

Dr. Wolfgang Ullrich: Gemeinsamkeiten sind schon durch die Einheitsteile im Reglement vorgegeben, so zum Beispiel die seit Jahren reglementarisch eingefrorene Fahrgastzelle. Selbstverständlich ist auch der Motor nur eine Weiterentwicklung des bestehenden Motors; hinzu kommen alle fixen Elemente wie Getriebe und Bremsen. Im Rahmen der Aerodynamik und der Achskinematik werden wir jedoch einen ganz neuen Weg gehen.

Inwieweit hat die in Länge, Breite und Radstand gewachsene Seriensilhouette Schwierigkeiten bereitet?

Dr. Wolfgang Ullrich: Die Silhouette ist in der Tat sehr stark abgeändert worden – daraus das Optimum zu machen ist Teil der Entwicklungsarbeit.

Wie beurteilen Sie den Rückzug von Mika Häkkinen? Könnte dieser zu einem Problem für die DTM werden?

Dr. Wolfgang Ullrich: Ich glaube nicht, dass das Weggehen eines einzelnen Fahrers, auch wenn es ein so besonderer Fahrer wie Mika Häkkinen ist, für eine Meisterschaft ein Problem ist. Die DTM hat auch ihre eigenen Helden, die in der DTM groß geworden sind. Diese müssen wir nach außen hin künftig noch besser verkaufen, denn mit ihnen können wir eine tolle Meisterschaft bieten – und ich glaube, dass unsere Fans das ähnlich sehen.

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