Gastkommentar: Eine Zeitbombe

Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart zum Schadenersatz bei erhöhtem Kraftstoffverbrauch ist eine Zeitbombe. Wenn sie hochgeht, dann dürften auch die Ergebnisse zum CO2-Europakompromiss neu aufgerollt werden, der den Autoherstellern bis 2015 Zeit gibt, den Flottendurchschnitt unter die vereinbarten Grenzwerte zu drücken.

Die Stuttgarter Richter sind der Auffassung, dass die Angaben der Autohersteller zum Verbrauch stimmen müssen und verurteilten Mercedes-Benz dazu, einem Kunden Schadenersatz zu zahlen. Es ging um eine E-Klasse, bei der ein Gutachter festgestellt hat, dass der Wagen des Klägers 9,1 Prozent mehr Sprit verbraucht als von Mercedes angegeben. Dass Verbrauchsangaben stimmen müssen, ist eigentlich selbstverständlich. Dass sie in dem beurteilten Fall nicht gestimmt haben sollen, ist nicht so ganz klar, wenn man die offiziellen Normwerte zugrunde legt. Wir kennen das Urteil im Detail noch nicht. Denn wenn der Gutachter zu dem Urteil gekommen ist, dass das Fahrzeug 9,1 Prozent mehr verbraucht als angegeben, dann darf er sich eigentlich nur auf den genormten Fahrzyklus berufen haben. Das heißt im Klartext: Nur wenn der EU-genormte Fahrzyklus im Gutachten zugrunde gelegt worden ist, das Fahrzeug dabei 9,1 Prozent mehr verbraucht, ist das Urteil richtig.

Sollte sich der Gutachter selbst ins Fahrzeug gesetzt haben, damit herumgefahren sein, um einen Durchschnittswert zu ermitteln, basierte das Urteil auf einer falschen Grundlage. Denn welche Angaben soll ein Hersteller machen, der gezwungen ist, den EU-Fahrzyklus zu messen? Dass der für viele Fahrzeuge sehr viel günstiger ist als die Realität auf der Straße, ist bekannt. Bekannt ist aber auch, dass die angegebenen Normwerte von einem vernünftigen Fahrer noch unterschritten werden können. Es ist bekanntlich vor allem die Fahrweise, die die Normwerte manchmal ziemlich daneben liegen lässt. Das aber haben die Richter vermutlich außer Acht gelassen.

Wie wird es weitergehen? Über kurz oder lang dürfte Brüssel neue Fahrzyklen präsentieren, die mit Sicherheit zu höheren Verbrauchsangaben aller Hersteller führen werden. Schon sind erste Stimmen zu hören, die die auf dem Prüfstand gefahrenen Höchstgeschwindigkeiten erhöhen, mehr Vollgasfahrten und mehr Stop-and-go-Verkehr einbauen wollen. Physikalisch ist das Ergebnis klar: Die Normverbrauchswerte werden drastisch ansteigen. Diese neuen Werte werden die Realität aber genauso wenig abbilden wie die heutigen. Sicher wird dann aber niemand klagen, wenn sein Auto weniger verbraucht als angegeben.

Natürlich freuen sich jetzt alle Autokritiker, dass das Thema gerichtsrelevant wurde und dass ein böser Autohersteller verurteilt worden ist, Schadenersatz zu zahlen. Die Autoindustrie sollte sich schon jetzt darüber klar werden, dass der Druck sogenannter Umweltschützer dann erst richtig losgehen wird. Denn die höheren Normverbräuche führen natürlich auch zu höheren CO2-Werten.

Wenn diese nicht den höheren Normwerten angepasst werden, sind die jetzt formulierten CO2-Ziele Makulatur. Denn wenn sich die gemessenen Normwerte durch andere Messzyklen deutlich erhöhen, was anzunehmen ist, die CO2-Grenzwerte aber gleich bleiben, werden die CO2-Zielvereinbarungen nicht mehr zu schaffen sein. Die Autoindustrie soll erneut vorgeführt werden, Vereinbarungen nicht einzuhalten. Wenn mit den höheren Verbrauchsangaben nicht einmal ein heute sparsamer Golf unter die 120 Gramm zu bringen ist, dann wird es sehr, sehr schwer, mit der Flotte auch nur in die Nähe dieser Grenzen zu kommen.

Und selbst höhere Normwerte könnten durch ungezügeltes Gasgeben noch übertroffen werden. Es ist also nicht auszuschließen, dass auch dann noch gegen Autohersteller geklagt wird. Dem könnten diese dann nur noch entgehen, wenn der künftige Verbrauchstest nur noch Vollgas und Volllast kennt. Aber diese Norm läge natürlich genauso daneben wie die heutige. Die Richter haben mit ihrem Urteil vielleicht Recht gesprochen, aber möglicherweise unrecht getan. Wenn der Verbrauch des Klägers nicht auf dem Prüfstand nachgemessen wurde, wäre ein Autohersteller für etwas bestraft worden, was er nicht zu verantworten hat.

(Entnommen aus der aktuellen Ausgabe des Branchen-Informationsdienstes PS-Automobilreport)

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