Hintergrund: Detroit ist überall

Erst sollte schon der Mittwoch der Tag sein, an dem die Entscheidung über die nähere Zukunft der US-amerikanischen Automobilhersteller fallen könnte. Besonders der größte Hersteller der Welt – General Motors (GM) – und Chrysler stehen am Rand des Abgrunds.

Ford geht es deutlich besser, droht aber, mitgerissen zu werden. Nun warten alle drei, ob und wann der US-Präsident George W. Bush die 14 Mrd US-Dollar aus dem Banken-Rettungspaket herauslöst und sie den Autoherstellern leiht.

Der jüngste Versuch der Politik, den amerikanischen Autoherstellern mit Überbrückungskrediten unter die Arme zu greifen, war auf dem Capitol an republikanischen Senatoren gescheitert. Die wollten der US-Autobauergewerkschaft UAW nicht bis 2011 Zeit einräumen, um die Einkommen anzupassen. Sie wollten die Löhne der amerikanischen Hersteller bis Ende 2009 an das Niveau angepasst sehen, das nicht-amerikanische Hersteller ihren Arbeitern in US-Werken zahlen.

Nach dem vorhergehenden positiven Votum im Repräsentantenhaus und nach dem Nein im Senat, war es nun seit Ende vergangener Woche am Präsidenten, eine Übergangslösung umzusetzen. Denn allen Beteiligten war klar, dass man nicht werde warten können, bis Barak Obama am 20. Januar 2009 sein Amt übernommen hat.

Inzwischen melden die „Großen“ Drei und elf weitere Firmen einen Bedarf von knapp 31 Mrd US-Dollar für die Umstellung auf energieeffiziente Fahrzeuge an. Sie sprengen damit auch den Rahmen, den der Kongress schon mit einem 25-Milliarden-Kredit für diesen Zweck gebilligt hatte und bestätigen damit den Senator, der nach der ersten Anhörung Anfang November festgestellt hatte, die Hersteller hätten inzwischen schon 100 Milliarden „verbrannt“: Was gibt uns die Sicherheit, dass sie mit 25 Milliarden den Turn around schaffen?“

Schon bei dieser ersten Anhörung vor Repräsentantenhaus und Senat hatte Chrysler-Chef Bob Nardelli unmissverständlich klargemacht, dass er für sein Unternehmen noch in diesem Jahr sieben Mrd US-Dollar benötigt. In der aktuellen Diskussion sprach er jetzt sogar davon, dass er sieben Mrd US-Dollar Lieferantenrechnungen nicht bedienen könne. Ähnliches war jetzt auch von GM zu hören. Die beiden brauchen die jetzt diskutierte Kreditsumme von 15 Mrd US-Dollar, um nicht gleich in die Pleite zu rutschen. Von neuen Technologien ist bei diesem Kredit nicht mehr die Rede.

Erst wenn das Geld bei den Unternehmen angekommen sein wird, wird man sich auch intensiver mit den Hausaufgaben beschäftigen, die auch Barak Obama dem Management aufgegeben hat. Er will wissen, wie sich die Unternehmen die Wende vorstellen. Zur Zeit schaut das Finanzministerium in die Bücher der Unternehmen.

Bisher hört man aus Detroit immer dasselbe Lied: Wir müssen kleinere, effizientere Fahrzeuge bauen und unsere Strukturen verschlanken. Das verstehen viele Fachleute und die Politiker nicht als die gewünschte Wende großen Stils, sondern nach dem Versuch, mit den bestehenden Geschäftsmodellen und kleineren Korrekturen zu überwintern. Der Zweifel der Politik am Willen zum Wandel begründet sich sicher auch in der Erfahrung, dass diese Sprüche seit mehr als einem Jahrzehnt aus Detroit zu hören sind, sich am Grundsätzlichen aber nichts ändert.

Im Übrigen müssen sich die Hersteller auch die Frage gefallen lassen, wieso sie sparsame Motortechnik erst entwickeln müssen. Chrysler hatte jahrelang Zugriff auf die Mercedes-Benz-Technik. GM hat mit Opel/Vauxhall eine Tochter, die sehr erfolgreich bei modernen Antrieben und kompakten Fahrzeugen unterwegs ist. Dasselbe gilt für Ford und deren erfolgreiches Europa-Engagement. Sind sich die drei sogenannten Großen zu fein gewesen, sich der Technik aus Übersee zu bedienen? Haben sie nicht bemerkt, dass Japaner, Koreaner und Europäer mit ihren Fahrzeugkonzepten den Amerikanern allmählich das Wasser abgruben?

Über diese Bestätigung der nicht-amerikanischen Autotechnik mag man sich als Europäer freuen, weil es so scheint, als könnten unsere Hersteller ihren Marktanteil nun in den USA gewaltig ausbauen. Schließlich verfügen sie über genau die Technik, die Ford, GM und Chrysler erst noch entwickeln oder adaptieren müssen, während unsere Industrie schon verkaufen kann.

Kann sie das wirklich, wenn ein, zwei oder gleich alle drei in den Gläubigerschutz nach Chapter 11 geschickt werden? Das bedeutet in den USA immerhin, dass ein Unternehmen vor den Gläubigern geschützt wird, also so lange keine Rechnungen bezahlen muss, bis die Restrukturierung steht.

Dann stellt sich sehr schnell die Frage, welcher Zulieferer das überleben kann? Und die Antworten auf diese Frage kommen keineswegs nur aus den USA. Die deutschen Zulieferer beschäftigen in den USA viele Tausende. Die Continental AG nennt als Zahl der Mitarbeiter im NAFTA-Raum (Mexico, USA und Kanada) mehr als 25 000. Chrysler ist traditionell ein wichtiger Kunde der Hannoveraner. 3,6 Mrd Euro des Conti-Umsatzes stammten 2007 aus diesem Raum. Wie viel mag es wohl dieses Jahr sein?

Ein Unternehmen wie Conti, aber auch andere, leiden gleich mehrfach unter dem Dahinsiechen der US-Hersteller. Erstens drücken die nicht bezahlten Lieferungen. Zweitens kommen angesichts der Marktentwicklung in den USA viel weniger Umsatz und Ergebnis zusammen als geplant. Drittens droht bei Conti eine hohe Abschreibung auf den offensichtlich doch nicht so hohen Wert von Siemens VDO, und viertens brechen die Märkte weltweit ein, nicht nur in den USA. Der sonst so wirksame regionale Ausgleich funktioniert bei dieser Krise nicht. Und dann ist da noch die Planungsunsicherheit. Heute plant kaum einer der Automobilhersteller seine Produktion für mehr als die kommende Woche.

In dieser Situation verhalten sich die Zulieferer lieber still. Niemand will mit zu hartem Druck auf die US-Hersteller die Bezahlung von Rechnungen erzwingen. Jeder Zulieferer bedenkt dabei zwei Dinge: Automobilhersteller haben ein Gedächtnis wie Elefanten und werden sich dran erinnern, wie sich welcher Zulieferer in der Krise verhalten hat. Auf der anderen Seite will niemand die Verantwortung übernehmen, mit einer erfolgreichen Klage auf Begleichung der Rechnung einen Damm zum Brechen zu bringen und damit von jetzt auf gleich die Insolvenz des Kunden auszulösen.

Lieferanten und deren Kunden beteuern in diesem Zusammenhang einmütig, sie wollten ihre üblichen Zahlungsmodalitäten einhalten. In den USA sind das 45 Tage, genau diese Frist hatte Nardelli offenbar im Hinterkopf, als er sagte, er brauchte noch sieben Milliarden, um das Jahr abwickeln zu können.

Zahlt Nardelli nicht bald oder vielleicht gar nicht mehr, gehen unsere deutschen Zulieferer ebenfalls in die Knie. Zahlt dann auch GM nicht, hat in Europa im Automobilgeschäft niemand mehr etwas zu lachen. Dann wird sich ein Massensterben von strategischen Lieferanten nur noch verhindern lassen, wenn auch sie sich unter einem Schirm Schutz suchen dürfen. Es sind die Zulieferer, deren Rolle in diesen Augenblicken gar nicht hoch genug einschätzen kann. Wie sagte einst der Verkaufschef eines Autoelektronk-Anbieters als er von Preisverhandlungen mit Lopez wieder heimkam: „Man sieht sich im Leben immer zwei Mal“.

Dieses ist das zweite Mal. Jetzt wird deutlich, wie viele Bänder auch in deutschen Automobilfabriken stillstünden, wenn der Zulieferer nicht mehr liefern kann. Es gibt genug Teile und Module, die kann man nicht einfach beim nächsten Zulieferer um die Ecke kaufe. Die brauchen ein spezielles Know how, das heute beim Zulieferer liegt, und außerdem lange Entwicklungszeiten, komplizierte Werkzeuge und Menschen, die alles beherrschen. Diese Ressourcen sind endlich und drohen, mit dem Zulieferer unterzugehen.

Wir stehen also vor einem Hoch für die Zulieferer. Diejenigen, die gewillt sind, es ihren Kunden nicht heimzuzahlen, die genug Geld in den Taschen und Kapazitäten in den Fabriken haben, die können jetzt ihre zukünftige Rolle nach Belieben gestalten. Wer es nicht übertreibt und stets an das lange Gedächtnis seiner Kunden denkt, der wird in dieser Krise tatsächlich von seinen Kunden zusätzliche Chancen auf dem Silbertablett angeboten bekommen.

Auch wenn mancher Zulieferer das als einen Vorgriff auf das Goldene Zeitalter verstehen wird, sollten die Drei den Wandel nicht schaffen – das Erdbeben an den Großen Seen in Detroit würde einen ganze gewaltigen Tsunami auch über Europa hinwegspülen.

Die Puristen unter den Wirtschaftsexperten stört das nicht, wenn viele dabei untergehen. Lieber ein Strukturwandel mit Schrecken, als ein Schrecken mit Dauerwandel und ohne absehbares Ende. Das klingt logisch und war auch schon in vielen Einzelfällen bei Unternehmen und sogar bei ganzen Volkswirtschaften richtig.

Doch eine Welle diesen Ausmaßes hat die Welt noch nicht gesehen. Sie wird ganze Gesellschaften hinwegspülen können. Hoffen wir also im wohlverstandenen eigenen Interesse, dass GM und Chrysler ein Geschäftsmodell entwickeln, das die Politiker überzeugt und tatsächlich funktioniert. Hoffen wird, dass Ford von den beiden nicht mitgerissen wird. Hoffen wir, dass die deutsche Industrie den Crash abfedern kann.

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