Hintergrund: Wer ist das österreichisch-kanadische Unternehmen Magna?

Vor dem Hintergrund des Interesses an einem Einstieg bei Opel hat sich die Redaktion auf den Gang ins Archiv begeben und dabei ein Interview gesucht und gefunden, das Magna-Steyr-Chef Manfred Remmel vor vier Jahren Mitte 2006 dem Branchen-Informationsdienst „PS-Automobilreport“ gab. Das erweist sich als unverändert aktuell. Nur die Aussagen zu Chrysler wurden in der Zwischenzeit von der Entwicklung überholt, sind aber als Beispiel durchaus noch zutreffend.

Herr Remmel, bekannt ist Magna als international tätiger Zulieferkonzern, aber wenn man genauer hinschaut, treten Sie auch als Automobilhersteller in Erscheinung…

Remmel: Das ist richtig. Dafür steht bei uns Magna Steyr, eine von sieben Magna-International-Gruppen. Es rundet mit seinem Produktangebot, nämlich dem Engineering und Manufacturing kompletter Fahrzeuge, das Portfolio von Magna International als Zulieferer ab.

Worauf hat sich Magna Steyr spezialisiert?

Remmel: Wir bauen zum einen so genannte Nischenfahrzeuge, also solche, die beim Kunden mit geringeren Stückzahlen – in der Regel bis circa 50 000 Einheiten pro Baureihe – im Markt sind. Eine Ausnahme stellt dabei der BMW X3 dar, der in deutlich größerer Menge bei uns produziert wird und im Übrigen auch entwickelt wurde. Daneben stellen wir Fahrzeuge für unsere Kunden her, um Nachfragespitzen abzudecken. Und von Magna werden auch speziell auf einzelne Märkte ausgerichtete Automobile hergestellt. Bei unserer Produktion von Chryslers Voyager, dem Jeep und neuerdings dem 300 C für Europa und den Rest der Welt geht es ganz einfach darum, die aktuell sehr gut ausgelasteten Chrysler-Fabriken in Nordamerika zu entlasten. Zudem ist es Teil der Chrysler-Strategie, diese Produkte ganz gezielt in den Regionen zu bauen, in denen sie schwerpunktmäßig auch verkauft werden.

Ihre Strategie ist es, eine gewisse Win-win-Situation mit den Kunden zu erreichen. Sie machen Angebote für Fahrzeuganläufe und sind auch behilflich beim Produzieren von Reststückzahlen auslaufender Modellreihen. Das soll für die Kunden, also die OEMs, günstiger sein. Wollen Sie in diese Richtung noch mehr tun?

Remmel: Ja, das liegt auch in unserem Interesse. Ausgehend vom gesamten Produkt- und Leistungsportfolio, das Magna Steyr anbieten kann, spielen in der Tat auch solche Angebote, bei denen es um die Unterstützung des Kunden bei der Aus- und Anlaufoptimierung eines Großserientyps geht, zusätzlich eine wichtige Rolle. Dies rundet letztlich das Gesamtproduktportfolio von Magna Steyr ab. Wobei Aus- und Anlaufoptimierung beim Kunden so zu verstehen sind, dass wir ihm in einer bestimmten Phase des Produktzyklus, beispielsweise im letzten Jahr, die geplanten Auslaufstückzahlen abnehmen und der Kunde damit die Möglichkeit hat, den Anlauf des Nachfolgetyps optimal in den eigenen Werken darzustellen. Es gelingt uns in wenigen Wochen oder Monaten, ein solches Produkt vom Kunden in unser Grazer Werk zu übernehmen. Dieser Produktionsstandort ist hoch flexibel ausgelegt und bietet solche Möglichkeiten jederzeit.

Können Sie jederzeit auf die Erfordernisse des Marktes reagieren?

Remmel: Ja. Wir sind auch sehr schnell, wenn es darum geht, neue Produkte hereinzunehmen, wie gerade mit dem Chrysler 300 C bewiesen wurde. Wir haben innerhalb eines halben Jahres dieses Automobil voll in die laufende Fertigung der Chrysler-Produkte Jeep und Voyager integrieren können. Das ist eine Leistung, die nur durch hohe Flexibilität und das Beherrschen der Komplexität möglich ist. Das ist es, was wir in einem Werk wie in Graz bieten. Damit liegt natürlich auf der Hand zu fragen: Lässt sich dies nicht auf Automobilstandorte in West- und auch Osteuropa übertragen? Im Rahmen von Lösungen, in denen wir als Betreiber eines solch flexiblen Werkes den OEMs letztlich weitere Optimierungsmöglichkeiten schaffen. Dies haben gerade die europäischen Hersteller dringend nötig, um im Wettbewerb mit den asiatischen Herstellern nachhaltig bestehen zu können.

Müsste der OEM seine Position, Strategie überdenken, um sich schlussfolgernd von Magna unter die Arme greifen zu lassen?

Remmel: Der Punkt ist, dass die europäischen OEMs zunächst einmal ihre Kapazitätsstrategie überprüfen und neu definieren müssen, auch in Bezug auf die Sach- und Personalkapazitäten. In einer Phase, in der wir kurzfristige Nachfrageschwankungen haben und einen Markteinbruch, wie er insbesondere in Deutschland zu verzeichnen ist, sind die Automobilhersteller natürlich nicht unbedingt bereit, über langfristige und strategische Ansätze zu diskutieren. Die aktuelle Not ist einfach zu groß, deshalb heißt vielfach die Devise: Insourcing auf Teufel komm raus. Nur werden damit die strukturellen Probleme nicht gelöst. Es geht letztlich darum, sich über die eigene Entwicklung jeweils klar zu werden und dann die Möglichkeit einer Verbundlösung mit einem Partner wie Magna Steyr zum Inhalt eigener Kapazitätsstrategie und -planung zu machen. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern muss letztlich im Rahmen der Langfristbetrachtungen des jeweiligen OEMs entschieden werden. Dabei sind und wollen wir mit unserem Konzept ein strategischer Partner sein. Dann funktioniert das Ganze auch.

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Wenn es einen Aufschwung gibt, sollte dann der Autohersteller überlegen, ob er seine eigene Produktion erweitert oder diese „Spitzen“ an Sie weitergibt?

Remmel: Ja. Das ist genau der Ansatz. Diese Phase muss genutzt werden. Die Spitzen müssen weitergegeben werden, um sich nicht selbst wieder in neue Kostenstrukturen hineinzuentwickeln, die man in der nächsten Abschwungphase wiederum als heftige Belastung im eigenen Unternehmen spürt. Im Übrigen kann ich Ihnen sagen: Magna Steyr reagiert auch vom Personal her sehr flexibel. Unsere Strategie ist es, 15 bis 25 Prozent Leiharbeitskräfte zu beschäftigen. Das ist unsere Möglichkeit, flexibel zu agieren, und zwar gleichermaßen im Engineering wie auch Manufacturing. Damit können wir natürlich viel besser reagieren und mit dem Markt atmen als ein großer OEM, der über entsprechende Verträge langfristig gebunden ist.

Wie hält man einen hohen Qualitätslevel bei einem Leiharbeiteranteil von bis zu 25 Prozent?

Remmel: In Graz zum Beispiel haben diese Leiharbeiter auch einen entsprechenden Erfahrungshintergrund und Ausbildungsstand. Insofern sind sie für qualifizierte Tätigkeiten einsetzbar und als Mitarbeiter im Werk auch durchaus beliebt. Sie haben den Ausbildungsstand, den wir brauchen, um sie auch flexibel einsetzen zu können.

Was verstehen Sie unter der flexiblen Fabrik?

Remmel: Bezogen auf das Manufacturing verstehe ich unter Flexibilität, in der Lage sein zu müssen, an einem Standort, in einer Fabrik, mehrere Kunden mit mehreren Produkten bedienen zu können. Im konkreten Fall in Graz vier große OEMs mit sechs verschiedenen Produkten. Auch innerhalb des Werkes geht es noch einmal zwischen den einzelnen OEMs sehr flexibel zu, indem auch die Mitarbeiter innerhalb der verschiedenen Aufgaben flexibel einsetzbar sind. Die Fertigungskapazitäten sind dort flexibel ausgerichtet, wo sich Flexibilität auch vom Investment her rechnet. Insofern lässt sich dieser Ansatz der flexiblen Fabrik beliebig auf andere Standorte übertragen. – Eine weitere Ableitung dieses Gedankens der flexiblen Fabrik wird derzeit intensiv bei uns in Verbindung mit CKD-Aktivitäten diskutiert. Das könnte dann eine Verbundfertigung für mehrere OEMs und mehrere Produkte sein, beispielsweise mit der Jahreskapazität von 30 000 Einheiten – mit eigener Lackieranlage, aber begrenzt auf den jeweiligen CKD-Industriealisierungsumfang. Auch da lassen sich viele Vorteile, beispielsweise für CKD-Aktivitäten mehrerer OEMs in Südostasien oder in Osteuropa, realisieren. Diese Themen sind für uns ebenfalls interessant, daran wird gearbeitet.

Sie wären also in neuen Märkten in der Lage, für verschiedene OEMs eine gemeinsame CKD-Produktion aufzubauen?

Remmel: So ist es. Mit entsprechenden Vorteilen, das heißt mit Synergieeffekten, die man rechnerisch belegen kann. Es geht dabei nicht nur um klassische Kostensynergien, sondern auch um Logistik-, Zoll- und Steuervorteile entsprechend den jeweiligen Landesgegebenheiten.

Hat Magna genügend Entwicklungskapazitäten, um umfangreiche Aufträge vom Modul bis zum kompletten Fahrzeug entgegennehmen zu können?

Remmel: Ja. Dafür steht eine große Entwicklungsabteilung zu Verfügung. Wir orientieren uns auf Engineering und Manufacturing von Gesamtfahrzeugen, aber auch von komplexen Modulen. Daneben arbeiten wir an Projekten, bei denen wir für den jeweiligen OEM reine Entwicklungsarbeit leisten. Ein großer Teil unserer Aktivitäten führt jedoch auch zu entsprechenden Fertigungsaufträgen. Das Engineering stellt für uns generell die Speerspitze für unsere gesamten integrierten Aktivitäten dar, wobei wir das Ganze aus einer starken Homebase Graz heraus betreiben. Hier haben wir alle notwendigen Kompetenzen, Kapazitäten, Funktionalitäten – mit dem klaren Ziel, zunehmend in Richtung Globalisierung zu gehen, um in neuen Märkten neue Kundengruppen zu erschließen. Konkretes Beispiel ist in dem Zusammenhang unser Engineering-Center in Detroit, das den nordamerikanischen Markt und damit nordamerikanische OEMs entsprechend bedient. Ein weiteres Beispiel für unsere Aktivitäten ist Magna Steyr France, ein Engineering-Center, das im letzten Jahr im Zuge der Übernahme von rund 300 Entwicklern von Duarte-Engineering in Frankreich gegründet worden ist. Generell sollen sich unsere Engineering-Center im Ausland mehreren Aufgaben widmen: Zum einen sollen sie Portal zum Kunden sein, daneben als mögliches Center of Competence bestimmte Aufgaben wahrnehmen und schließlich als mögliche Low-Cost-Basis fallweise eingesetzt werden können. In Bezug auf die letztgenannte Rolle sind vor allem unsere Aktivitäten in Indien/Pune, in Ungarn/Györ oder unsere geplanten Aktivitäten in China zu nennen. Das Ganze stellt im Sinne des Global Engineering ein Netzwerk dar, das dem Kunden unter Leistungs-/Kosten-Gesichtspunkten die jeweils bestmögliche Lösung bieten soll.

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