Kommentar: Wir haben keine Chance, und die nutzen wir

Verzweiflungstat oder eine Aktion, die von strategischem Genie zeugt? Die Frage werden sich die Mitarbeiter des wankenden US-Autoherstellers Chrysler ebenso stellen wie ihre Kollegen bei Fiat in Italien. Offenbar sehen beide Unternehmen das Einsteigen der Italiener mit 35 Prozent bei Chrysler als so etwas wie ihre letzte Chance.

Sergio Marchionne hatte erst vor wenigen Wochen prophezeit, ein Automobilhersteller, der weniger als fünf Millionen Fahrzeuge pro Jahr baue, sei nicht überlebensfähig. Nur sechs große Konzerne werden – so der Fiat-Chef – die aktuelle Krise überleben. Er – der Kämpfer – will nun versuchen, dazu zu gehören. Sein Gegenüber bei Chrysler, Bob Nardelli, steht gleich doppelt unter Druck. Auf der einen Seite muss er für Cerberus, den 80-Prozent-Besitzer von Chrysler, den Ausstieg aus diesem Auto-Geschäft suchen. Auf der anderen Seite soll er dem US-Congress und der neuen US-Administration bis 31. März 2009 beweisen, dass Chrysler eine reelle Überlebenschance hat.

Fiat soll die 35 Prozent ohne einen US-Dollar erhalten haben. Chrysler bekommt dafür Zugriff auf Plattformen und Antriebe der Italiener, kann also rasch die in den USA auf einmal von der Politik geforderten Kleinwagen anbieten und gleichzeitig über das Fiat-Händlernetz in Europa und Südamerika Chrysler, Jeep und Dodge anbieten. Im Gegenzug schafft Fiat den für die Mark Alfa so lange erhofften Sprung über den Atlantik nach Nordamerika. Gemeinsam werden sich die beiden Unternehmen zum Beispiel beim Einkauf auf die Suche nach Synergien begeben.

Nardelli ist der Erfüllung seines Auftrags ein Stück näher gekommen. Cerberus hält nun nicht mehr die Mehrheit, weil neben dem Neu-Aktionäre Fiat ja auch noch die Daimler AG mit 20 Prozent dabei ist. Ob er die Hürde am 31. März mit Hilfe von Fiat nehmen und damit weitere Milliarden-Hilfen des US-Staates erwarten kann, wird sich zeigen. In Detroit bei der North American International Auto Show, die am Sonntag zu Ende geht, hinterließ Chrysler jedenfalls den hilflosesten Eindruck aller amerikanischen Hersteller.

Auf den ersten Blick überschneiden sich die Märkte und die Technologien der beiden Unternehmen erstaunlich wenig. Das passt anscheinend – oder scheinbar – besser als weiland beim Daimler– und Chrysler-Deal. Außerdem haben beide Partner ihre mehr oder weniger schmerzhaften Erfahrungen mit der Zusammenarbeit von Europäern und Amerikanern bereits hinter sich. Sie werden daraus gelernt haben. Zählt man die Produktion der beiden zusammen landet man allerdings nicht über der Marchionne-Grenze von fünf Millionen. 4,2 Millionen Autos produzierten beide in 2008 in Summe. 2007 hätten Sie es fast erreichen können. Aber das Katastrophen-Jahr 2008 brachte für Chrysler rund 30 Prozent weniger Absatz.

Und wenn die US-Administration den Ausweg aus der Krise mit Fiat nicht als sicher ansieht? Wenn die Amerikaner gar nicht so wild auf Kleinwagen sind, wie die Politiker behaupten? Wenn die Implantation von Fiat-Technologie zu lange dauert? Wenn sich die Puristen in den USA durchsetzen, die Chrysler am liebsten schon längst einem „gemanagten Bankrott“ übereignet hätten? Bringen die 35 Prozent dann Fiat um? „Time will tell“, sagt der Amerikaner. Wir werden sehen. Ein Sterbender und ein Kranker wollen sich an einander aufrichten. Das funktioniert in der Regel auch in der Wirtschaft nicht. Sie haben keine Chance. Aber die nutzen sie. Die Daimler AG mit ihrem Fünftel an Chrysler ihrer neuen indirekten Beteiligung an Fiat wird die Dinge mit Interesse betrachten.

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