Angeflanschtes von Rudi Mentär: Der fünfte Gang lag im Handschuhfach

Mit der schlichten Formulierung „Verbindungsansatz an Rohren, Maschinenteilen usw.“ erklärt der Duden technisch unbedarften Zeitgenossen, was ein Flansch ist. Solche Maschinenteile kommen sogar an Automotoren vor, und wenn sich Autofahrer im Duden schlau machen wollen, finden sie den Flansch direkt vor Flapps. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Doch unterwegs verflappst so ein Flansch gelegentlich sogar Autofahrer, die genau wissen, was ein Flansch ist, nur keine Ahnung davon haben, dass so etwas unter ihrer Motorhaube steckt. Das wiederum liegt daran, dass manche Autohersteller die Kundschaft lieber im Unklaren über allerlei Flanscherei lassen, die sie schon mal als Notbehelf installieren. In den 1980er Jahren zum Beispiel, als die Kundschaft ziemlich plötzlich Fünfganggetriebe anstelle der bis dahin üblichen Vierganggetriebe verlangte, flanschten selbst renommierte Hersteller den fünften Gang einfach an das Viergang-Getriebegehäuse an und gewannen so Zeit für die Entwicklung von Fünfganggetrieben, die diesen Namen verdienten.

Weil der Teufel ein Eichhörnchen ist, schlüpfte er so um die Mitte der achtziger Jahre in einen betagten VW-Passat, der auf seiner letzten Dienstfahrt zwei Kollegen von Hannover nach Bad Füssing und zurück bringen sollte. Die beiden nicht eben für zaghafte Fortbewegung bekannten Herren hörten auf der A7 mitten in den Kasseler Bergen unweit der Abfahrt Melsungen ein teuflisches Geratsche unter der Motorhaube. Sie stellten alsbald fest, dass der fünfte Gang ganz beim Teufel war und der vierte auch Ausfallerscheinungen androhte.

Die beiden schlichen im dritten Gang über die nächste Ausfahrt von der Autobahn, erblicken voll Freude in der Ferne am Ende einer Gefällstrecke das Schild einer VW-Werkstatt und liefen dort sicherheitshalber ohne Motorkraft auf. Dem Händler, in Personalunion auch sein eigener Kraftfahrzeugmeister, war schnell klar, was passiert war: Da hatten zwei eilige Zeitgenossen die kurvenreiche A7 mit maximal möglichem Tempo und wohl auch geringem Getriebeölstand befahren, so dass der angeflanschte fünfte Gang in langgezogenen Kurven trocken gefallen war. „Wenn Sie“, sagte der Meister, „heute noch nach Bayern wollen und übermorgen zurück kommen, nehmen Sie am besten einen meiner Mietwagen. Das sind Audis. Ich richte Ihnen inzwischen den Passat soweit her, dass Sie übermorgen damit nach Hannover kommen.“

Als die beiden den Audi zurückbrachten, erklärte ihnen der seiner Natur nach etwas wortkarge Meister: „Den fünften Gang habe ich Ihnen eingewickelt ins Handschuh-fach gelegt. Sie haben für die Fahrt nach Hannover nur vier Gänge zur Verfügung und sollten das Restgetriebe mit Vorsicht behandeln. Das wär‘s – und hier ist die Rechnung.“ Die Einigung, welcher der beiden Bäderreisenden auf der Restfahrt nach Hannover das Lenkrad festhalten musste, war nur mühsam zu erzielen.

Am Getriebe rumgeflanscht haben seinerzeit auch andere Hersteller. Citroën zum Beispiel, immer für extravagante Lösungen zu haben, verpasste seiner vielge-liebten Ente im letzten Produktionsstadium nicht nur Scheibenbremsen, sondern flanschte dem Dreiganggetriebe noch einen vierten Gang an, der zwar die Höchstgeschwindigkeit nicht wesentlich erhöhen konnte, aber immerhin die Motordrehzahl ein wenig senkte.

Allerdings führte dieser vierte Gang in vielen, wenn nicht gar den meisten Enten ein Kümmerdasein. Mancher Fahrer, der schon immer Enten gefahren war, erfuhr überhaupt nichts vom Vorhandensein des vierten Ganges, anderen gelang es nicht, diesen Gang zu finden, weil ihn die französischen Konstrukteure meisterhaft versteckt hatten – als Anhängsel des dritten Ganges.

Die Gangschaltung mittels des unterhalb der Windschutzscheibe ins Wageninnern reichenden „Krückstocks“ funktionierte so: Links vorne Rückwärtsgang, rechts vorne erster Gang, links hinten zweiter Gang, rechts hinten dritter Gang. Der vierte Gang war nur über den eingelegten dritten Gang erreichbar. Dazu musste der Griff des Krückstocks nach rechts oben gedreht und von dort wiederum weit nach vorne geschoben werden, sozusagen mit einer Art Verbeugung. Ähnlich kompliziert war das Zurückschalten. Aus dem vierten Gang in den Leerlauf ging nicht; der Weg führte immer über den dritten Gang in den Leerlauf zurück.

Einen geldwerten Vorteil freilich brachte der vierte Gang notorisch zu schnellen Zeitgenossen: In Braunschweig gab es zu jener Zeit einen stets eiligen Anwalt, der häufig in Berlin zu tun hatte und so oft mit seinem Porsche in die Radarfallen der DDR auf der Autobahn nach Berlin geraten war, dass selbst ihm die Geschichte zu teuer wurde. Er hielt sich schließlich eine Viergang-Ente nur für die Fahrten nach Berlin und wurde nie wieder geblitzt, obwohl er mit der Ente im vierten Gang bei etwas Rückenwind schon mal Tempo 120 km/h erreichte, denn er hatte herausgefunden, dass die DDR-Polizei die Messungen stets per Knopfdruck auslöste. Die Ente hatten die Ostler in ihren Verstecken nicht im Messprogramm, weil die Höchstgeschwindigkeit des Kultvehikels mit weniger als 100 km/h Höchstgeschwindigkeit verzeichnet war.

„Im übrigen“, erzählte der Anwalt seinen Freunden, „Ihr glaubt ja gar nicht, wie viel bequemer als ein Porsche so eine Ente auf der Autobahn ist, wenn man auf der Autobahn nur schleichen darf.“

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