Gastkommentar: Die Höllenhunde

In der griechischen Mythologie ist Cerberus ein Höllenhund. Daimler-Chef Dieter Zetsche dürfte sich heute fragen, warum er den Namen jenes Investmentfonds, der ihm Chrysler abgekauft hat, nicht auf seinen mythologischen Hintergrund abgeklopft hat.

Denn was sich jetzt abspielt, ist mehr als das bloße Gegenteil der einstmaligen „Hochzeit im Himmel“. Es ist schlicht ein Skandal, der sich am Horizont abzeichnet: Der Finanzinvestor Cerberus will auf einmal mehr Geld, als er selbst für die 81,1 Prozent bezahlt hatte. Mit anderen Worten: Cerberus will sich den Kauf von Chrysler vom Verkäufer finanzieren lassen. Ein unglaublicher Deal. Cerberus behauptet inzwischen, dass sich Daimler vertragswidrig verhalten habe. Wenn nicht alles täuscht, könnte Cerberus die Absicht haben, den Deal insgesamt rückabwickeln zu wollen. Das wäre eine Katastrophe für Daimler. Denn selbst wenn sich eine gerichtliche Auseinandersetzung dazu über Jahre hinziehen und mit einem positiven Ergebnis für Daimler enden würde, wäre die finanzielle Belastung und die Wirkung auf den Aktienkurs unabsehbar lange eine schwere Hypothek.

Als wir im Sommer 2007 darauf hinwiesen, dass der Grefrather Zulieferer GDX, auch ein Unternehmen des Investors Cerberus, in finanziellen Schwierigkeiten steckte und von der deutschen Autoindustrie ultimativ Zahlungen in Millionenhöhe forderte, damit deren Produktion nicht stocken sollte, war das für viele überraschend. Zähneknirschend zahlten die meisten, weil sie weiter Autos bauen wollten. Schon damals wurde deutlich, dass sich Cerberus wie ein solcher benimmt, wenn die Zahlen nicht stimmen. Im Daimler-Management sprach man trotzdem davon, dass man es bei Cerberus mit absolut seriösen Leuten zu tun habe. Mit denen verhandelte Ex-DaimlerChrysler-Vorstand Tom LaSorda gerade über den Verkauf von Chrysler, der dann für den erfolgreichen Abschluss der Verkaufsverhandlungen eine dicke Prämie mit nach Amerika nehmen durfte.

Jetzt wird sich zeigen, ob die Verhandlungen wirklich so erfolgreich waren und die Verträge wasserdicht sind. Tatsächlich schien das damals so, denn der Vertrag wäre zwei Wochen später sicher nicht mehr unterschrieben worden, weil sich da schon die Finanzkrise abzeichnete. Pikant, dass der ehemalige Fast-Mercedes-Chef Wolfgang Bernhard Cerberus beriet und als „Chrysler-Sanierer“ das von Daimler vorgelegte Zahlenwerk geprüft haben dürfte. Dass Chrysler-Mehrheitseigner Cerberus nun behauptet, hinters Licht geführt worden zu sein, kann eigentlich so nicht stimmen. Dann wäre Bernhard ein schlechter Berater gewesen. Aber was sich abzeichnet, ist ein handfester Skandal, der viele Interpretationsmöglichkeiten offenlässt. Und der sich noch lange hinziehen könnte.

Nimmt Wolfgang Bernhard späte Rache an Daimler, jenem Unternehmen, das ihm ziemlich unvermittelt den Stuhl vor die Tür gestellt hatte? Denn es ist anzunehmen, dass Bernhard Cerberus auch jetzt berät. Daimler-Chef Dieter Zetsche nennt die Cerberus-Vorwürfe aktuell „an den Haaren herbeigezogen“, was durchaus der Wahrheit entsprechen dürfte. Aber wer die amerikanische Rechtsprechung kennt, weiß, dass da alles möglich ist. Denn auch in der Aktionärsklage gegen den Zusammenschluss fühlte sich DaimlerChrysler im Recht – und musste sich dann doch außergerichtlich auf eine Zahlung von 300 Millionen US-Dollar einlassen.

Chrysler dürfte auch diesmal pokern. Vom Absatztal voll erwischt, versucht das Management herauszuholen, was herauszuholen ist. Dieter Zetsche ist gut beraten, seine Verhandlungsgegner (-partner wäre das falsche Wort) nicht mehr für „seriös“ zu halten. Cerberus erweist sich als wahrer Höllenhund, der ohne Rücksicht auf Verluste finanziell rausholen will, was irgendwie möglich ist. Chrysler hat ja nicht mehr viel zu verlieren. Es steht zu befürchten, dass dies das erste Unternehmen sein wird, das sich schon bald unter den Gläubiger-Schutzschirm Chapter 11 flüchten wird.
Cerberus wird alle Vorurteile gegen sogenannte Heuschrecken bestätigen und sich als kalter Renditejäger entpuppen. Emotionslos werden diese Höllenhunde Dieter Zetsche vor sich hertreiben, Daimler noch einmal eine Stange Geld kosten. Zwischen einer und drei Milliarden US-Dollar schätzen Experten. Dieter Zetsche ist in einer Zwickmühle. Er will und muss die Restbeteiligung an Chrysler loswerden und dürfte sich heute fragen, warum er nicht gleich einen hundertprozentigen Schlussstrich gezogen hat. Das Verkaufsvertragswerk ist so kompliziert, dass es von außen nicht schlüssig zu interpretieren ist. Dass Chrysler noch immer eine schwere Belastung für Daimler ist, zwingt zu noch rigoroseren Sparmaßnahmen bei Mercedes-Benz. Dort glaubten die Mitarbeiter scheinbar vergebens, dass das Kapitel Chrysler mit dem Verkauf der Mehrheit abgeschlossen ist. Daimler muss den finalen Schlussstrich ziehen und wird dies auch schaffen. Fragt sich nur, zu welchem Preis. (ar/PS/HU)

(Entnommen aus der aktuellen Ausgabe des Branchen-Informationsdienstes PS-Automobilreport)

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