Kantige Charakter-Kiste: Der “Große Karmann“ wird 50 Jahre

Waren das noch einfache, aber dennoch aufregende automobile Zeiten. Sein Debüt gibt das charakteristisch-kantige Karmann-Coupé im September 1961 auf der IAA. Zu den Kunden rollt es nur wenige Wochen später – parallel mit dem VW Typ 3, der die Plattform liefert. Damit zielen die Wolfsburger erstmals in die automobile Mittelklasse. Sie setzen dabei immer noch auf das bekannte Käferprinzip, das auf Heckantrieb und einen luftgekühlten Boxermotor aufbaut; doch diesmal aber in größeren Dimensionen. Von seinen Wolfsburger Geschwistern soll sich das 2+2-sitzige Sportcoupé durch gehobenere Ausstattung und mehr Flair abheben.

Denn allmählich wünschen sich auch die VW-Kunden der frühen 60er Jahre eine üppigere Karosserie, mehr Platz im Innenraum und mehr Status. Mehr zumindest, als ihn der bereits millionenfach gebaute Käfer bieten kann, der schon dem Karmann Ghia Typ 14 als Plattform gedient hat.[foto id=“356429″ size=“small“ position=“left“] In den fünfziger Jahren zählt der zierlich-runde Wagen zu den begehrtesten Fahrzeugen der bundesdeutschen Damenwelt: Mehr als 443 000 Einheiten sind insgesamt gebaut geworden.

Die Beziehung zwischen VW und dem Karosseriebauer Karmann ist also bestens. Neben dem verspielten Karmann Ghia 1200 Typ 14 wird in Osnabrück auch das Käfer Cabriolet gefertigt. Im geplanten Typ 3 – bekannt geworden als Volkswagen „1500“ und später als „1600“ – möchten die Wolfsburger im Segment oberhalb des Käfers auf Kundenjagd gehen. Auch die Karmänner sind sofort ganz Ohr. Für sie ist das die Chance, ein größeres Coupé zu entwickeln.

Pläne dazu gibt es reichlich:

Schon kurz nach der Präsentation des Ur-Karmann Ghia Typ 14 sind den Niedersachsen aus Turin, dem Sitz des Designstudios Ghia unter Leitung des legendären Luigi Segre, zahlreiche Entwürfe ins Haus geflattert. In Wolfsburg ist man durchaus offen für eine größere Variante. Am Ende gibt auch VW-Vorstandsvorsitzender Heinrich Nordhoff persönlich grünes Licht für den „Großen Karmann“. So entsteht unter dem Projektnamen „Lyon“ der Typ 34, der sich an dem seit 1959 gebauten Chevrolet Corvair orientiert. Chefdesigner ist abermals Sergio Sartorelli, der bereits dem „kleinen“ Karmann seine Form gegeben hat. [foto id=“356430″ size=“small“ position=“left“]

Neuland in Sachen Styling

Mit dem großen Bruder wird jedoch nicht nur in den Abmessungen Neuland betreten, sondern auch in Sachen Styling. Mit seiner kantig-bulligen Form hebt sich der große Bruder vom damenhaften, als „Hausfrauen-Porsche“ belächelten Typ 14 ab. Dabei ist man in Italien mit der auch durch die deutschen Zulassungsvorschriften geprägten Front nicht einverstanden: Trotz dem Serienanlauf werden noch Alternativentwürfe mit einer anderen Anordnung der Doppelscheinwerfer präsentiert. Sie prägen gemeinsam mit dem großzügig verglasten Dachaufbau und den hohen, filigranen Pfosten die Optik des „34“. Seite an Seite mit dem kleinen Karmann Ghia 1200 wirkt er bis heute modern, erwachsen und durchaus repräsentativ. Zugleich dürfen sich die Kunden über sattere Leistungsdaten freuen, die denen des Typs 3 entsprechen. So werden anfangs 33 kW/45 PS aus 1 493 Kubikzentimeter Hubraum geschöpft. 1963 kommt zwei Jahre lang der 40 kW/54 PS starke Doppelvergaser-Motor des 1500 S zum Einsatz, bevor 1969 das jähe Ende kommt. Zum Ende 1968 erhält Wilhelm Karmann persönliche Post aus Wolfsburg: „Zur rechtzeitigen, gegenseitigen Planung“, heißt es dort, „teilen wir Ihnen mit, dass wir die Produktion des Typ 34 im nächsten Jahr einzustellen gedenken“. Das Problem: Die Verkaufszahlen reichen bei weitem nicht an die des „kleinen“ Karmann heran, von dem im Laufe seines Lebens allein mehr als 80 000 Cabrios gebaut [foto id=“356431″ size=“small“ position=“left“]worden sind. Von solchen Zahlen ist der „34“ aber weit entfernt: Nach überschaubaren 42 505 verkauften Exemplaren ist am 30. Juni 1969 Schluss . Der „Kleine“ wird noch weitere fünf Jahre gebaut, bis er im Sommer 1974 dem Scirocco weichen muss.

Heute zählt der „Große Karmann“ zu den eher seltenen Modellen in der Klassikerszene. Die geringe Stückzahl und das eigenwillige Design sorgen für Exklusivität. Die heutigen Preise für diese Fahrzeuge in einem ordentlichen Zustand knacken leicht die 10 000 Euro-Marke. Geradezu unbezahlbar dagegen ist der heute in der „Automobilsammlung Volkswagen Osnabrück“ beheimatete Cabrio-Prototyp. Im Jubiläumsjahr wird man ihn ausnahmsweise auch auf der Straße sehen: Volkswagen Classic präsentiert ihn bei zahlreichen Events wie der Kitzbüheler Alpenrallye im Mai dieses Jahres oder der Sachsen Classic im August. Großer Bahnhof scheint aber garantiert, wie es sich auch gehört, wenn ein großen Bruder Geburtstag hat.

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