Der Niedergang der Nachrüst-Radios – Schicht im Schacht

Raus aus dem Schacht, rein in den Schacht. Es gab eine Zeit, in der sich Autoradios im Handumdrehen austauschen ließen. Heute dagegen ist die Radio- und Musikfunktion meist nur noch Teil eines umfangreichen Multimedia-Centers, dessen Komponenten verstreut über das Armaturenbrett eingebaut sind und sich hinter aufwendig geformten Blenden verbergen.

Der Austausch eines möglicherweise defekten Original-Radios gegen ein Nachrüstgerät stellt selbst geübte Hobbyschrauber vor Aufgaben, denen sie sich nicht mehr gewachsen fühlen. Folge: Wurden im Jahr 2005 noch 2,44 Millionen Autoradios verkauft, sank der Absatz bis zum Jahr 2011 auf 1,39 Millionen. Mittlerweile sind bekannte Marke wie VDO Dayton vom Markt verschwunden, Bosch hat die Nachrüst-Sparte von Blaupunkt abgestoßen und bei anderen Marken sieht es auch nicht rosig aus.  

„Das Nachrüstgeschäft fällt jedes Jahr um etwa zehn Prozent“, bestätigt Gerd Wellhausen, Produktmanager bei Pioneer. „Die Hersteller haben den Austausch von Geräten deutlich schwieriger gemacht.“ Einer der wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang lautet DIN-Schacht – also jene genormte rechteckige Öffnung im Armaturenbrett, die einst in einem Mercedes ebenso wie in einem Volkswagen, Opel und all den anderen Marken das Radio aufnahm. Heute ist für DIN zunehmend Schicht im Schacht.  

Zunächst bekam der DIN-Schacht Zuwachs in Form von Doppel-DIN – also zwei der rechteckigen Öffnungen, die meist übereinander liegen und Platz etwa für ein Radio und ein Navigationsgerät bieten. Doch bei der Verdoppelung blieb es nicht. Immer mehr wurde das Radio in das Design der Armaturentafel einbezogen, wurde Teil komplexer Multimediaanlagen, deren Grundformen sich nicht mehr um genormte Maße scherten.  

Selbst wenn sich hinter der Verkleidung des Werksgerätes noch Genormtes verbirgt, wird der Austausch gegen ein Nachrüstgerät zumindest optisch schnell zum Desaster. Schließlich sind die originalen Bedienelemente oft in eine aufwändig geformte Blende integriert, die nach dem Austausch entfernt werden muss – was bleibt ist ein Krater, den das nachgerüstete Radio mehr schlecht als recht auffüllt.  

Dieses Problem immerhin konnten die Radiohersteller recht schnell lösen: Sie bieten heute neben den eigentlichen Geräten auch Blenden-Adapter an, die auf den einzelnen Fahrzeugtyp zugeschnitten sind. Ein zweites Problem löste man auf ähnliche Weise. Denn auch die Zeiten einheitlicher Kabelverbindungen oder Stecker gehören der Vergangenheit an. Um ein [foto id=“455341″ size=“small“ position=“left“]Radio in möglichst viele Modelle einbauen zu können bedarf es passender Adapter. Pioneer-Mann Wellhausen berichtet, dass das Unternehmen mittlerweile ein Sortiment an Kabel- und Blenden-Adaptern anbietet, das etwa 1.000 Artikel umfasst.  

Manchmal allerdings hilft auch das nicht weiter – wenn etwa der Platz für den Einbau eines Standardgerätes fehlt, wenn die einzelne Bauteile nicht an einem Ort, sondern verstreut im Armaturenbrett zu finden sind, oder wenn die gesamte Anlage so komplex ist, dass selbst der Fachmann den Kopf schüttelt, und sagt, dass da nichts geht. So hält Gerd Wellhausen spätere Nach- oder Umrüstungen in Fahrzeugen wie den aktuellen Generationen der Mercedes S-Klasse oder dem 7er-BMW wegen der Komplexität der Anlagen für nahezu unmöglich. Praktiker wie Werkstattleiter Mario Dedonno vom Autoradio Service in Berlin bestätigen das. Er nennt als Beispiel für schwierige bis unmögliche Fälle gleich einen Großteil der aktuellen Modellplatte von BMW.  

Diese Probleme sind allerdings nur die eine Seite – die andere ist der Kunde. Der hat zwar nicht die Lust an der Musik im Auto verloren, sie ist aber nur ein Teil der Wünsche, und sie muss nicht unbedingt von fest eingebauten Geräten im Fahrzeug kommen. Das Stichwort der Zeit für die Nachrüster ist neben Bluetooth vor allem die vollkommene Smartphone-Konnektivität. Autofahrer legen also verstärkt Wert darauf, dass ihnen alle Funktionen des Smartphones während der Fahrt zu Verfügung stehen.  

Norman Hiller, Sprecher des Car-Hifi-Anbieters Clarion, weist in diesem Zusammenhang auf das Stichwort MirrorLink hin. Dabei handelt es sich um eine einheitliche Schnittstelle, zur Verbindung der Infotainment-Systeme des Autos und einem Smartphone. Je nach Modell lassen sich so die Funktionen des Smartphones direkt über das Display des fest installierten Gerätes und dessen Tasten steuern. Hinter MirrorLink steht das Car Connectivity Consortium (CCC), in dem sich Auto- und Smartphone-Hersteller zusammengeschlossen haben, deren Ziel einheitliche und verbesserte Lösungen zum Gebrauch des Smartphones im Auto sind. Ein Haken an der Sache: Nach aktuellem Stand ist Apple noch nicht dabei.  

An andere Stelle sind aus dem Projekt jedoch schon reale Produkte geworden. Sony etwa bietet mit dem XAV-601 BT bereits ein MirrorLink-kompatibles  Entertainmentsystem für das Auto. Nach Angaben des Herstellers sollen Firmware-Updates die Kompatibilität mit Apps und künftigen Smartphones auch langfristig garantieren.  

Für die Zukunft stellt sich womöglich gar nicht mehr die Frage, ob ein Nachrüstgerät das veraltete oder kaputte System im Auto ersetzen kann. Wichtig wird viel eher die Frage sein, ob das neue Smartphone sich noch irgendwie mit Lautsprechern oder Display im Wagen verbinden lässt.

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