Kommentar: In Peking Abstimmung mit den Füßen

Der Auto Mess in Leipzig möchte man an einem Wochenendtag so viele Zuschauer wünschen, wie sich am Freitag vergangener Woche beim ersten Pressetag der Auto China Journalisten mit Presseausweis auf der Messe tummelten.

Ein großes Land hat eben auch viele Journalisten, so viele, dass es schon einen langen Europäer braucht, um über die Köpfe der chinesischen Kollegen und ihrer Familien hinweg „zum Schuss“ kommen zu können und einen Überblick zu gewinnen.Wer nicht lang genug ist, braucht Geduld, um die Sekunde zu erwischen, in der das Objekt der Begierde so vollständig wie möglich vors Objektiv gerät. Geduld und Standfestigkeit sind gefragt, denn zum Fotogeschäft gehören in Peking wie in Shanghai ein paar blaue Flecken.

Allerdings ist das Gedränge nicht an allen Ständen gleich groß. Als Journalist aus Deutschland kümmert man sich zunächst um die deutschen Hersteller und muss zur Kenntnis nehmen, dass hier das Chaos besonders eindrucksvoll ist. Die Erfahrung, dass man als Fotograf einen Stand am besten ein halbe Stunde nach der jeweiligen Pressekonferenz besucht, hilft hier nicht. Die Masse um die Autos löst sich nicht auf. Zum Beispiel bei Mercedes-Benz. An die Langversion der E-Klasse – den Mercedes-Benz E 300 L – kamen wir kaum heran. Ausbeute: ein Foto. Am Beispiel Audi wird auch die Interessenlage der chinesischen Kollegen deutlich. Der Audi A 8 Hybrid blieb fast unbeachtet; der A 8 in der Langversion hingegen war stets umlagert.

Der Porsche-Stand mit dem 918 Spyder war viel zu klein geraten für die Massen der Kamera- und Schreibblockträger. Gut, dass der neue Sportler aus Zuffenhausen hinter Absperrband stand, sonst wäre kaum jemand zum Schuss gekommen, weil sich zunächst einmal jeder Chinese von seinem Kollegen vor dem Auto hätte fotografieren lassen. Auch andere [foto id=“293369″ size=“small“ position=“right“]Sportler und Exoten konnten diesem Schicksal nur durch Absperrungen und aufmerksames Standpersonal entgehen.

Das Interesse, die Neugier ist riesig. Warum auch nicht? China ist mittlerweile der größte Automobilmarkt der Welt. Da will man auf dem Laufenden sein, offenbar besonders bei den deutschen Herstellern. Bei einer Pause gerieten wir in einen Pulk von Fotografen, die von ihrer Chefin abgefragt wurden, ob sie auch alles im Kasten hatte. Sie rief alle deutschen Marken und Typen auf. Vielleicht gab es später ein ähnliches Redaktionstreffen in einer Halle mit chinesischen Ausstellern. Wir bezweifeln das, obwohl die Chinesen etwas zu zeigen haben.

Ihre Autos werden technisch aufwändiger und zeichnen sich durch schrumpfende Spaltmaße aus, was man in Deutschland ja als wesentliches Qualitätskriterium versteht. Nach europäischem Geschmack werden sie auch ansehnlicher, und dennoch ist die Fotografen-Dichte in diesen Hallen deutlich geringer. Das könnte natürlich auch an der Präsentation der Fahrzeuge liegen. Auf den meisten Ständen findet man Auto in nicht fotogenen Farben mit zu kleinen Rädern, die so unglücklich beleuchtet sind, dass man sich vor Reflexen kaum retten kann. Aber auch andere asiatische Hersteller zeigen sich im Peking nicht eben als Messeprofis. Der riesengroße Toyota-Stand sah aus wie ein Parkplatz.

Eine kurze Rückschau auf die Messen der Vergangenheit lehrt: Die Dinge ändern sich schnell in China, rasend schnell. Das gilt auch für das Auto-Angebot. Nick Reilly. Opels neuer Europachef, ging bei einem Pressegespräch am Rand des Genfer Automobilsalon im März sehr weit. Er sah die klassischen Automobilmarken in der Gefahr, von den chinesischen schon in den kommenden vier Jahren überrollt zu werden, und zwar bei der Elektrotraktion. Der Autoboom und die Umwelt ließen der chinesischen Führung gar keine andere Chance, als das Ruder in Richtung Elektro herumzureißen, meint Reilly.

In der Tat sieht man überall mindestens Hybridmodelle und auch batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge. Doch stellt sich dieses Jahr auf der Auto China noch nicht der Eindruck ein, als sei das mehr als die Vorbereitung auf andere Zeiten oder gar mehr als das, was Japaner oder Europäer bieten. Doch – wie gesagt – die Dinge ändern sich in [foto id=“293370″ size=“small“ position=“left“]China mit einer Geschwindigkeit, die Europa oder Amerika außer Atem bringen würde. Atmen ist allerdings auch heute schon in Peking nicht das wahre Vergnügen. Der Smog ist allgegenwärtig. Sollte Nick Reilly also Recht haben? Schon in einem Jahr, bei der Automobilausstellung in Shanghai, werden wir mehr wissen.

Aber das Geschäft wird nicht nur durch den politischen Willen zu bestimmen sein. Auch das lehrt die Auto China; denn noch zählt hier nur groß, lang, teuer und exotisch. Bisher verläuft die Abstimmung mit den Füßen zugunsten der deutschen Hersteller. Wir werden sehen, ob sich die Objektive der Kameras bei der nächsten Messe in Shanghai oder bei der nächsten Auto China 2012 in Peking auf andere Fahrzeuge richten. Für den Verkehr in den chinesischen Metropolen ist es allerdings einerlei, ob das einzelne Fahrzeug mit Benzin oder Strom in den Stau und das unbeschreibliche Gewühl einer Kreuzung fährt.

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