Auf den Straßen von Moskau – Zwischen Lada und Luxus

Sergej ist genervt, schon seit zwei Stunden kämpft sich der Chauffeur mit seinem Fahrgast vom Flughafen durch die Stadt. Und wirklich näher ist er dem Zentrum noch nicht gekommen: Acht Spuren Stau in jeder Richtung – so heißt die russische Hauptstadt an diesem Tag ihre Gäste willkommen, und mit jedem Kilometer Richtung Roter Platz wird es schlimmer. „Wahrscheinlich gibt es in keiner anderen Stadt so viele Staus wie in Moskau“, erzählt der Fahrer. Laut Statistik sind es mehr als 800 – jeden Tag. Im Mittel dauern sie 1:26 Stunden, und pro Monat stehen die etwa 15 Millionen Einwohner rund zwölf Stunden nutzlos auf der Straße herum.

Kaum vorstellbar, dass das erst der Anfang ist.

Denn Russland gilt den Automobilherstellern als der europäische Wachstumsmarkt schlechthin. So wie China im Großen, soll das ehemalige Zarenreich im Kleinen die Scharten auswetzen, die von der Krise im Westen und Süden in die Bilanzen geschlagen wurden. Dieses Jahr bis zu 2,8 Millionen Neuzulassungen, im nächsten Jahr vielleicht schon 3,0 Millionen und spätestens 2020 über 3,5 Millionen neue Autos. Wo die alle fahren sollen, weiß zumindest in Moskau kein Mensch. Dabei [foto id=“432923″ size=“small“ position=“left“]konzentrieren sich hier 80 Prozent der Wirtschaftskraft und über ein Drittel aller Autoverkäufe. Egal wie es also weitergeht mit dem Markt – leerer wird es auf den Straßen nicht. Und von modernen Verkehrsleitsystemen ist hier keine Spur.

Außer wenn die Herren Putin & Co vom Kreml aus in den Feierabend starten, gibt es nicht mal eine Grüne Welle. Weil sich Stadt- und Staatsregierung nicht über die Gelder einigen können, kommen Infrastrukturprojekte nur schleppend voran, und nicht einmal die Reichen haben freie Fahrt. Konnten sie noch vor wenigen Jahren für vergleichsweise kleines Geld Blaulichter kaufen und dann wie früher die Parteibonzen ohne Stopp und Stau durch die Stadt jagen, müssen sie nun zurück ins Glied. „Seit ein paar gravierenden Unfällen schauen die Behörden jetzt sehr viel genauer hin“, erzählen die Moskowiter.

So schleicht man also im schmuddeligen Regengrau Meter für Meter über die Hauptschlagadern der Stadt, steht bei minutenlangen Rotphasen gefühlte Ewigkeiten vor jeder Kreuzung, bemitleidet die armen Verkehrspolizisten in ihren antiquierten Unterständen und hat alle Zeit der Welt, einen trotz des tristen Wetters ausgesprochen bunten Fuhrpark zu betrachten. Nicht wegen der Farben, weil die entweder Silber, Schwarz, Weiß oder Grau vom Straßendreck sind. Aber dafür bei den Fahrzeugen. Denn zumindest in Moskau sieht man mehr Luxusmodelle als irgendwo sonst in Europa. Und wer einmal die Millionärsmeile Rubljowka zu den mit meterhohen Stacheldrahtvorhängen eingezäunten Edel-Ghettos der Oligarchen hinaus fährt, hält die Königsallee in Düsseldorf oder die Elbchaussee in Hamburg für schäbige Vorortstraßen.

Mercedes S-Klasse, BMW Siebener und Audi A8 sind alltäglich, ein Bentley fällt kaum mehr auf und was bei uns der VW Golf ist, das sind hier die großen Geländewagen. Händler wie Alexandr Korshelev verkaufen jeden Monat 60 bis 70 Range Rover, zwei von drei Porsche für Russland sind Cayenne und von [foto id=“432924″ size=“small“ position=“right“]Autos wie dem Infiniti FX oder dem Cadillac Escalade werden in Moskau in ein paar Wochen mehr verkauft als im restlichen Europa zusammen – und zwar in einem ganzen Jahr.

Nur Sportwagen sieht man so gut wie nie.

„Wie auch, bei diesen Straßen“, fragt Sergej, als er mal wieder durch ein paar knietiefe Schlaglöcher rumpelt. Außerdem darf man in Russland nirgends schneller als 110 km/h fahren – offiziell zumindest. „Trotzdem darf man sich nicht dem Irrglauben hingeben, dass die Russen keinen Faible für schnelle Autos hätten“, warnt der oberste Bugatti-Verkäufer Stephan Brungs, der in Russland durchaus ein paar Kundenkontakte hat. „Nur stehen die Autos dann an den Sommerresidenzen in Monaco oder Miami, statt in Moskau.“

Wo in der Hauptstadt der Luxus regiert und außer den niederen Chargen der Polizei und ein paar Taxichauffeure niemand mehr ein russisches Auto fährt, ist das Land noch fest in der Hand von Lada. Zwar ist der Marktanteil allein in den letzten zwei Jahren um mehr als zehn Prozentpunkte gesunken, weil keiner ein Auto von gestern fahren möchte. Doch weil sich viele nicht mehr leisten können als einen Kalina oder Priora, kommt trotzdem noch fast jeder fünfte russische Neuwagen aus Togliatti.

Knapp vier Stunden nach dem Start hat Sergej endlich das Hotel in Sichtweite der Basilius-Kathedrale erreicht und seinen Fahrgast abgeladen. Weil er ihn zwei Tage später auch wieder abholen muss, lässt er das Auto lieber gleich in der Tiefgarage und steigt für den Heimweg in das einzige Verkehrsmittel um, das in Moskau tatsächlich funktioniert: Die Metro. „Denn nicht nur im Stau sind wir Weltmeister“, sagt der Russe mit leidgeplagtem Gesicht und schiebt mit aufgehellter Miene hinterher: „Auch unter der Erde macht uns keiner etwas vor.“

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