Der neue Actros: Alles besser?

Dass ein neues Modell seinen Vorgänger in der Summe seiner Eigenschaften übertrifft, das liegt in der Natur der Sache. Da machen auch Lkw keine Ausnahme. Aber diesmal sind die Fußstapfen gewaltig, die der Newcomer auszufüllen hat.

Der noch hochaktuelle Fernlastwagen Actros gilt immerhin als vielleicht der sicherste Vertreter seiner Zunft. Er machte mit einem Notbremsassistenten die Rede, der an Stauenden dann noch den Anker wirft, wenn es sein müder Fahrer übersieht. Und mildert mit einer selbstständigen Notbremsung zumindest die Unfallfolgen auf ein erträgliches Maß. Technische Features, die heute noch kaum ein Pkw hat – im Lkw werden sie bereits verbaut, auch wenn so mancher Fuhrpark noch zögert. „Es kostet halt Aufpreis“, erklären die Praktiker und halten die Anschaffungskosten niedrig. Deshalb erhält der neue Actros den segensreichen [foto id=“411523″ size=“small“ position=“left“]Schleuder- und Kippschutz ESP jetzt serienmäßig, in der Branche bisher einmalig. Ein Vorgriff vielleicht auf künftige EU-Vorschriften: Ab Anfang 2014 wird ESP auch bei Lkw zur Pflicht, dann haben es alle.

Papier ist geduldig

Auf der Straße liegt die Wahrheit, rund tausend Lkw-Kilometer auf spanischen Fernstraßen warten auf uns. Ein gewagter Vergleich: Alt gegen neu, wobei die offizielle Daimler-Lesart vom „bewährten gegen den neuen Actros“ spricht. Das erste Kennenlernen liegt schon Monate zurück, der neue Schwere von Mercedes macht es seinem Fahrer nicht schwer. Alle Schalter, alle Bedienelemente präsentieren sich stark verbessert. Wer gut sitzt, der gut fährt – die alte Regel stimmt noch immer. Ein neuer Fahrersitz (vom Lieferanten Grammer) stellt die meisten Pkw-Sitze mit Belüftung und verstellbarer Schulterstütze weit in den Schatten. Der Clou: der Fahrersitz mit Massagefunktion, dabei werden sieben Luftkammern wie eine Welle be- und entlüftet. Das schmucke Funktionslenkrad mit Lederbezug macht den Fahrer an und sammelt gleich Pluspunkte. Es lässt sich in jede erdenkliche Stellung bringen, flacher oder steiler, wie es dem Actros-Chauffeur beliebt. Und die automatisierte Schaltung wird jetzt am rechten Hebel unter dem Lenkrad bedient – die Schaltwippe des alten Actros wirkt dagegen richtig antiquiert. Der neue Actros fährt automatisch, die zwölf Vorwärtsgänge sortiert ein moderner Rechner, der dafür in Sekundenbruchteilen alle erforderlichen Daten abgleicht: Gaspedalstellung, Motordrehzahl, Topografie, sonstige Fahrwiderstände. Gang für Gang wird nachgelegt, schnell beim Beschleunigen oder am Berg – manchmal extrem komfortabel nach dem Erreichen des Reisetempos, ein [foto id=“411524″ size=“small“ position=“left“]gut geschulter Fahrer kann es nicht besser.

Abfahrtkontrolle leicht gemacht

Eine Fernbedienung als Schlüssel, über dessen Display kann der Fahrer die Standheizung aktivieren sowie den Ölstand oder den Reifenluftdruck kontrollieren. Man steckt ihn ins Fach und drückt den Startknopf, grad so wie in einer C-Klasse oder einem Sprinter von Mercedes. Erwacht das neue Euro 6-Triebwerk, fällt es nach wenigen Umdrehungen in einen ruhigen Leerlauf. Gibt der erforderliche Luftdruck in den Bremsleitungen die Feststellbremse frei, kann der Actros loslegen. Schon auf den ersten Metern registriert der Fahrer die weit bessere Übersicht. Vor allem aus der Frontscheibe, aber auch zur Seite mit großen Rückspiegeln, die das Sichtfeld schräg nach vorn nicht verdecken. Der Lenkeinschlag macht den Sattelzug wendiger als geglaubt, die Lenkkräfte würden auch zarte Hände nicht überfordern.

Und gleich geht es zur Sache, der Verkehrsfluss auf der Autovia Catalonia fordert volle Beschleunigung. Der kräftige Reihensechszylinder mobilisiert die ganze Kraft seiner 12,8 Liter Hubraum, 510 Pferdestärken und 2 500 Newtonmeter Drehmoment sind heute an der Tagesordnung. Der kräftige Motor bemüht nur bis zu 1 500 Umdrehungen, klingt basslastig aber nicht lästig. Damit erreicht der voll ballastierte 40-Tonner schnell sein Reisetempo 85 km/H, das jetzt der Tempomat steuert. Der wird in den meisten Autos nur einfach die Geschwindigkeit regeln, im Actros dagegen übernimmt er komplexere Aufgaben. Zum Beispiel die Überwachung der Bergabgeschwindigkeit, indem er die Dauerbremsen virtuos einsetzt. Ein 40-Tonner ist bergab mit hoher kinetischer Energie unterwegs, er schiebt dann mit rasch zunehmender Geschwindigkeit zu Tale. Hier setzt der Tempomat ein, hält unter Aufbietung von Motorbremse und Retarder die gesetzte Geschwindigkeit, maximal 4 km/h dürfen es mehr sein. Das klappt freilich nur, weil die verschleißfreien Dauerbremsen extrem bei Kräften sind: Der Retarder, der jetzt mit dem Medium Kühlwasser arbeitet, liefert 3 500 Newtonmeter Bremskraft oder bis zu 750 kW. Und die zugeschaltete Motorbremse steuert dreistufig bis zu 400 Kilowatt bei.

Weil die elektronische Geschwindigkeits-Regelanlage ART oder Abstandsregeltempomat heißt, hält es unter allen Umständen den gewünschten Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug ein, selbst wenn es bis zum Stillstand bremst. Eine feine Technik, die auch hält, was sie verspricht – nur so ist das Fahren mit Tempomat eine sichere Sache. Obendrauf gibt Mercedes noch den Notbremsassistenten ABA (= Active [foto id=“411525″ size=“small“ position=“left“]Brake Assist) mit auf den Weg, der die Fuhre im Notfall selbsttätig bremst. Das kostet natürlich extra – aber nur einmal im Einsatz macht er sich schon bezahlt.

Muss Leistung Sünde sein?

Auf ebener Fahrbahn lohnt der Wechsel in den Fahrmodus A-Economy, nur ein Druck auf das Ende des Getriebeschalters. Dann aktiviert das Powershift-Getriebe die neue Zusatzfunktion, die Kraftstoff sparen soll. Die dann schaumgebremsten Schaltvorgänge reduzieren die Motordrehzahl, der Tempomat setzt die Transportgeschwindigkeit auf 85 km/h, der Drehmomenteinsatz wird leicht gedrosselt. Was an flachen Autobahnetappen gilt, hat freilich bei schwieriger Topografie nichts zu suchen. Hier hilft nur Motorleistung, wer die Steigung möglichst schnell überwindet, spart aktiv Dieselkraftstoff. Mit vollem Drehmoment bergauf zeigt der kraftvolle Sechszylinder Biss und Stärke, schon kurz vor der Kuppe das Gas gelupft, bis der Lastzug im Gefälle wieder Fahrt aufnimmt – so spart der Profi wertvolle Zehntelliter Kraftstoff. Auf spanischen Fernstraßen klappt das hervorragend, der Fahrer konzentriert sich auf das Leistungsvermögen seines Trucks und die Straßenverhältnisse, Lkw-Überholverbote findet man nur selten.

Dem zügigen Tempo kommt die neue Lenkung entgegen. Bei hoher Fahrgeschwindigkeit agiert sie dank variabler Übersetzung nicht übertrieben direkt, aber in Mittellage präzise und immer gefühlvoll. Davon kann das Vorgängermodell nur träumen, hier hat der Fahrer alle Hände voll zu tun, sein Fahrzeug auf der Bahn zu halten. Der neue Actros verfügt über weit höhere Fahrwerksreserven, einen steiferen Rahmen und eine breitere Federspur. Das voluminöse Fahrerhaus ist straff gedämpft, wankt weniger und irritiert den Fahrer selbst auf winkeligen Nebenstrecken nicht mehr.

Am Ende des Tages

Auch der Fahrer des neuen Actros ist abends redlich müde, aber sicher nicht so gerädert. Nach Ende seiner Lenkzeit genießt er das größere Platzangebot, der Newcomer hat hier deutlich mehr zu bieten. Mercedes nennt seinen Actros-Maximalisten GigaSpace, der bietet volle 2,5 Meter Breite und 2,13 Meter Stehhöhe. Die fast 80 Zentimeter breite Liege lässt sich mit integrierter Wasserwaage eben einrichten, eine Standklimaanlage sorgt auch im Hochsommer für angenehme Ruhezeiten. Nur für die dringenden Bedürfnisse gibt es im neuen Actros noch keine Lösung. Aber was nicht ist, kann ja noch werden – der Kandidat ist erst am Anfang einer langen Karriere.

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