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Vor 75 Jahren stellten Strömungsforscher der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen ein Auto vor, das lange Zeit als konsequenteste Umsetzung der Aerodynamik im Fahrzeugbau galt: den so genannten Schlörwagen.
Um den Verbleib des Fahrzeuges ranken sich zahlreiche Mythen. Einige der Rätsel konnten jetzt im Archiv des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Nachfolger der AVA, gelöst werden.Der Schlörwagen war ein Experimentalauto, das 1939 für Aufsehen sorgte. Seine Windschlüpfigkeit, gemessen als sogenannter Strömungswiderstandskoeffizient (Cw-Wert), war mit 0,186 sensationell niedrig. Nachmessungen von VW in den siebziger Jahren an einem Modell bescheinigten dem Schlörwagen sogar einen Cw von nur 0,15. Heutige Pkw reichen mit einem Cw-Wert von 0,22 bis 0,3 nicht an die günstige aerodynamische Form des Schlörwagens heran. Lediglich moderne Experimentalautos wie das sogenannte Ein-Liter-Auto von VW oder das PAC-Car II der ETH Zürich weisen niedrigere Cw-Werte auf. Im Gegensatz zu diesen bot der Schlörwagen allerdings sieben Personen – also einer ganzen Familie – Platz.
Anlässlich des Jubiläums stellten Göttinger DLR-Forscher noch einmal ein erhaltenes verkleinertes Original-Modell in den Windkanal. Die Aufnahmen bestätigten die Untersuchungen in den 30er Jahren: Die Strömung schmiegt sich eng an das Modell an. Es kommt zu keinerlei Strömungsabrissen oder Verwirbelungen, die ein Fahrzeug bremsen würden. Als geradezu ideal erwies sich das lang hinuntergezogene Heck: Hier zeigte sich keinerlei Luftrückströmung, die bei den meisten Autos für erhöhten Luftwiderstand sorgt.
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Der Schlörwagen verdankt seinen Namen dem deutschen Ingenieur Karl Schlör (1910-1997). Das Auto sollte nicht in erster Linie hohe Geschwindigkeiten erzielen, sondern bei herkömmlichem Fahrtempo einen besonders niedrigen Verbrauch erzielen und einer ganzen Familie Platz bieten – ein Konzept, das in der Zeit von Klimawandel und Energiekrise äußerst modern anmutet.
Schlör wählte für die Grundform des Wagens zwei Profile von Flugzeugtragflächen mit einem besonders niedrigen Luftwiderstand aus. Die Form des Fahrzeugs ähnelte der eines halben Tropfens, was ihm wohl später den Spitznamen „Göttinger Ei“ eintrug. „Im Grunde genommen ist der Schlörwagen ein Flügel auf Rädern“, erklärt Prof. Andreas Dillmann, Leiter des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik.
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Um diese aerodynamisch günstige Form so wenig wie möglich zu stören, wurde die Karosserie so weit nach außen gezogen, dass sich die Vorderräder innerhalb der Karosserie drehen konnten. Dies führte zu einer großen Fahrzeugbreite von 2,10 Metern. Mit dieser Breite nahmen die Konstrukteure einen etwas höheren Luftwiderstand in Kauf. Der Boden des Fahrzeugs war geschlossen, die Fenster schlossen bündig mit der Außenhaut. Trotz einer Aluminium-Karosserie war der Wagen etwa 250 Kilogramm schwerer als das Serienmodell, ein Mercedes 170 H.
Auf der damals bei Göttingen gerade fertig gestellten Autobahn, dem Vorläufer der heutigen A 7, absolvierte der Schlörwagen im Jahr 1939 eine Reihe von Testfahrten. Die Höchstgeschwindigkeit betrug beim Serienwagen circa 105 Kilometer pro Stunde, beim Stromlinienwagen beachtliche 134 bis 136. Der Schlörwagen verbrauchte auf 100 Kilometer acht Liter, das Serienmodell hingegen zehn bis zwölf Liter – eine Reduzierung um 20 bis 40 Prozent.
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Trotz all seiner aerodynamischen Vorteile ging der Schlörwagen nie in Serienproduktion. Und das nicht ohne Grund: „Die Exzellenz der Aerodynamik ging auf Kosten der Fahrsicherheit“, sagt Dillmann. Der Schlörwagen war nicht nur sehr schwer fahrbar, stärkerer Seitenwind hätte das Fahrzeug von der Straße gefegt. Die Probleme mit der Fahrsicherheit wären heutzutage mit Hilfe elektronischer Fahrassistenzfunktionen vielleicht in den Griff zu bekommen.
Nach Abschluss der Fahrtests in Göttingen wurde der Schlörwagen 1939 auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Berlin einem staunenden Publikum vorgestellt. Doch der Zweite Weltkrieg machte jegliche Pläne für eine Weiterentwicklung von Personenkraftwagen zunichte. 1942 wurde der Schlörwagen mit einem Propeller aus der russischen Kriegsbeute mit 130 PS ausgestattet. Die ungewöhnliche Konstruktion erregte auf einer Testfahrt in Göttingen großes Aufsehen.
Am Ende des Krieges verschwand er aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Im Laufe der Jahre entstanden verschiedenste Theorien über seinen Verbleib. Die einen behaupteten, er sei von den Alliierten beschlagnahmt und nach England gebracht worden. Andere mutmaßten, er sei in Riga verbrannt oder stehe vielleicht noch heute vergessen in einem Schuppen bei Göttingen. All diese Vorstellungen sind laut der Leiterin des Zentralen Archives des DLR, Dr. Jessika Wichner, falsch: „Der Schlörwagen stand noch nachweisbar bis mindestens Ende August 1948 in der AVA Göttingen.“
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Der Erfinder Schlör musste damals per Brief erfahren, dass von seinem Wagen „die Karosserie in beschädigtem Zustand noch notdürftig erhalten“ sei. Teile wie Sitze und Räder waren bereits im Krieg ausgebaut worden, der Wagen „parkte“ in einem abbruchreifem Gebäude. Wichner: „Das Fahrzeug war damals weder in einem fahrtüchtigem Zustand, noch überhaupt ein vollständiges Automobil.“ Hoffnungen Schlörs, wenigstens die Reste ausgehändigt zu bekommen, zerschlugen sich 1948: Ein Abschleppwagen musste aus Göttingen unverrichteter Dinge zurückkehren, die britische Militärverwaltung erteilte keine Freigabe. Danach verliert sich die Spur des Fahrzeugs. „Die Wahrscheinlichkeit, dass man die schwer beschädigte Karosserie irgendwann schlicht und ergreifend entsorgt hat, ist leider sehr hoch“, vermutet Wichner.
Ein nach den Originalzeichnungen aus dem DLR-Archiv gefertigter Nachbau des Schlörwagens im Maßstab 1:5 ist seit kurzem in der neu eröffneten Erlebnissausstellung PS Speicher in Einbeck zu sehen.
geschrieben von auto.de/(AVA) veröffentlicht am 04.08.2014 aktualisiert am 04.08.2014
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