Exklusiv: R1234yf – Die Schlacht der Argumente

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Nach wie vor gähnt zwischen Freund und Feind des Kältemittels R1234yf (chemische Bezeichnung: HFO-1234yf, eingetragener Markenname: Solstice) ein tiefer Graben. Während der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller VDIK der Substanz die Stange hält und erklärt: „Bis 2017 werden unsere Mitgliedsfirmen das neue Kältemittel einsetzen“, lehnen die deutschen Autobauer bis auf Ford und Opel R1234yf geschlossen ab. Grund: Bei Crashtests von Daimler war das Mittel nicht nur in Flammen aufgegangen, sondern hatte sich darüber hinaus in die extrem lebensgefährliche Flusssäure verwandelt. Ähnliches war bei einer Testreihe des Kraftfahrtbundesamtes – allerdings hier nur unter extremen Bedingungen – passiert.

Zur Zeit denkt die EU-Kommission in Brüssel über ein Strafverfahren gegen Deutschland nach, weil das bisherige klimaschädliche Mittel R134a nach ihrer Verordnung bei Neuwagen mit neuer Typzulassung gar nicht mehr und den anderen Neuwagen nur bis 2017 eingesetzt werden darf. Dieser Anweisung hatten sich die Deutschen nur durch einen Griff in die Trickkiste entzogen, indem sie ihre Neuvorstellungen kurzerhand zu Weiterentwicklungen vorhandener Modelle erklärten. Bis auch denen das alte Mittel entzogen wird, wollen BMW, Porsche, Volkswagen und Daimler Klimaanlagen entwickelt haben, bei denen als Kältemittel Kohlendioxid zum Zug kommt.

Davon unbeeindruckt zeigen sich die Erfinder von R1234yf, die beiden amerikanischen Chemiegiganten Honeywell und Dupont, die sich von der Substanz als weltmarktbeherrschende Unternehmen gewaltige Gewinne versprechen. Honeywell kündigte diese Woche an, 300 Millionen Dollar in ein neues Werk im amerikanischen Bundesstaat Louisiana zu investieren, um dort ab 2016 die Massenproduktion des neuen Kältemittels zu starten. „Die Nachfrage nach HFO-1234yf steigt global“, freut sich Andreas Kramvis, President und Chief Executive Officer von Honeywell Performance Materials and Technologies. Sogar eine Niederlassung in unmittelbarer Nähe der Höhle des Löwen Deutschland schließt Kramvis nicht aus: „Honeywell erwägt zusätzlich den Bau eines Werkes in Europa. Das ist allerdings abhängig von der Nachfrage und den spezifischen Anforderungen dieses Marktes.“

Wie gerufen kam Mitte dieses Jahres den R1234yf-Produzenten ein Aufsatz von unabhängigen externen Fachleuten im amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Reviews of Geophysics“. Darin heißt ess, dass im Gegensatz zu den Untersuchungen von Honeywell und Dupont, die dem neuen Kältegas einen GWP von vier bescheinigt hatten, dieser Wert tatsächlich unter eins liegt.

GWP stellt einen Referenzwert für die Klimaschädlichkeit einer Substanz dar. So hat Kohlendioxid den Wert eins, R1234yf nach dem „Geophysics“-Aufsatz weniger als eins und das alte Mittel R134a einen von 1300.

R1234yf in Klimaanlagen von Pkw zu nutzen, sei zudem deutlich umweltfreundlicher und kostengünstiger als CO2-basierte Klimaanlagen, behauptet Ken Gayer, Vice President und Geschäftsführer von Honeywell Fluorine Products, mit einem Seitenhieb auf die deutsche Automobilindustrie. „Eine Studie des japanischen Automobilverbandes zeigt zum Beispiel, dass Klimaanlagen auf Basis von R1234yf bei hohen Außentemperaturen zwischen 20 und 30 Prozent weniger Treibhausgasemissionen produzieren als Klimaanlagen mit CO2, da R1234yf Systeme weniger Kraftstoff benötigen. Bezogen auf alle Fahrzeuge auf europäischen Straßen könnten durch diese Verbrauchseffizienz acht Millionen Tonnen Treibhausgas eingespart werden. Dies entspricht 4,5 Milliarden Euro weniger Kraftstoffkosten für europäische Autofahrer. Mit einem GWP von unter eins gehen wir von einer noch größeren Verbesserung durch den Einsatz von R1234yf hinsichtlich Umwelt und Wirtschaftlichkeit aus“, rechnet Gayer aus.

Fast eine halbe Million Autos sind derzeit mit R1234yf unterwegs. Stimmen die Berechnungen Gayers, dann würde ein global flächendeckender Einsatz dieser Substanz für das Klima so viel Auswirkungen haben, als ob es 30 Millionen Autos, beziehungsweise etwa drei Prozent aller Fahrzeuge, weltweit weniger auf den Straßen geben würde.

Bei Daimler in Stuttgart, wo die Ingenieure an ihrer Einschätzung der großen Gefahr durch das neue Kälteegas festhalten, ist allerdings zur Zeit niemand aufzutreiben, dem die Aussage, dass der GWP von R1234yf unter 1 liegt, bekannt war. Und auch von einem Mehr- oder Minderverbrauch durch den Einsatz von R1234yf oder Kohlendioxid ist nichts zu hören. Nur ein Unternehmenssprecher gibt zu bedenken: „Interessant erscheint mir die Frage, welche Umweltauswirkungen messbar sind, wenn ich ein Kältemittel mit GWP 1 mit einem Kältemittel mit GWP kleiner als 1 vergleiche. Allein dadurch, dass CO2 faktisch ein ,Abfallprodukt‘ ist, zu dessen Herstellung keine Energie aufgewendet werden muss und damit auch kein zusätzliches CO2 bei dessen Produktion anfällt, ist der Umwelteffekt durch seinen Einsatz augenscheinlich.“ Ohne Prophet zu sein, kann man sicher davon ausgehen, dass Daimler und Honeywell so leicht niemals Freunde werden.

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