Hintergrundbericht: Das Auto von morgen

„Es wird keine goldene Antriebslösung für die Autos von morgen geben“, unterstreicht Bernd Bohr verantwortlich für den Bereich Kraftfahrzeugtechnik im Hause Bosch, „Elektroantrieb, Range Extender und Verbrennungsmotor werden parallel nebeneinander existieren. Und die Brennstoffzelle würde ich noch nicht abschreiben. Doch zunächst wird sich viel auf die Batterietechnik konzentrieren.“

Bosch als größter Systemzulieferer der Automobilindustrie steht im Jahr seines 125. Geburtstags vor einer großen Herausforderung. Die Zeiten, in denen es bei einem Automobil allein um die Fortbewegung mit einem Verbrennungsmotor ging, sind lange vorbei. „Wir rechnen damit, dass Plug-In-Hybride bis zum Jahre 2020 eine tragende Rolle spielen wird“, so Bernd Bohr weiter, „diese Autos werden 20 bis 30 Kilometer rein elektrisch fahren können. Das wird zunächst im oberen High-End-Bereich der Limousinen kommen.“

Daimler-Chef Dieter Zetsche hatte vor Monaten eine ähnliche Marschrichtung ausgegeben: „Wir müssen das Auto neu erfinden.“ Keine leichte Aufgabe, denn die weltweiten Märkte entwickeln sich bekanntlich höchst unterschiedlich. Doch egal, ob man das Boomland China, das aufstrebende Indien oder die weitgehend gesättigten Automobilregionen in USA und Europa betrachtet das Auto wird auch in den nächsten Jahrzehnten eine elementare Rolle im Alltagsgeschäft der Menschen spielen – jedoch eine andere als bisher. Mit einer schnöden Fahrt von A nach B ist es dabei für viele Menschen längst nicht mehr getan. Und egal ob unter der Motorhaube ein kleiner Elektromotor surrt oder ein aufgeladener Sechszylinder mit Start-Stopp-Automatik und Direkteinspritzung werkelt, der Fahrer am Steuer wird sich mit ganz neuen Aspekten beschäftigen. So wird das Auto durch neue, weiter entwickelte Assistenzsysteme immer sicherer werden. „Verstärkt kommt mit Geräten wie dem Smartphone das Internet ins Auto“, ergänzt Bosch-Vorstand Bernd Bohr, „konkret müssen wir die neuen Funktionen der Konsumelektronik so ins Fahrzeug einfügen, dass sie für den Fahrer bedienbar sind.“ Längst sind aktuelle Fahrzeuge bereits mit der zweiten Generation von Head-Up-Displays unterwegs. Berührungsempfindliche Bildschirme passen sich zunehmend den animierten Bedienoberflächen der Mobiltelefone an. Bluetooth ist auch bei Kleinwagen für ein kleines Aufgeld verfügbar und so klicken sich iPhone, Blackberry oder Android-Handy kabellos in das automobile Alltags-Geschehen ein.

Neue Funktechniken sorgen dabei als Nachfolgegenerationen von UMTS dafür, dass die Übertragungsraten hoch genug sind, um große Datenmengen ins Auto zu bringen. So müssen die Radiosender längst nicht mehr über UKW oder KW ins Auto senden, sondern kommen über das weltweite Webradio zum Empfänger. Der Lieblingssender aus New York dröhnt so weltoffener denn je aus einem Mini Cooper, der die Münchner Leopoldstraße hinauffährt. Mini Connected macht es möglich. Bei der neuen Generation von Autofahrern ist das Mobiltelefon beziehungsweise das mobile Internet mindestens genauso wichtig wie der Wunsch nach einem Führerschein oder gar einem Auto selbst. Daher können Autohersteller und Zulieferer kaum mehr einen Bogen um die technische Integration von Email, Facebook oder Google machen. All das kommt in den nächsten Jahren mit dem flexiblen HTML-5-Standard stärker denn je ins Auto. Es wird nur noch eine Frage kurzer Zeit sein, bis wann alle Neufahrzeuge über einen vielfältig nutzbaren Multifunktionsbildschirm verfügen, der visuell Auto und das Smartphone miteinander verbindet. Kleine Computerprogramme, die so genannten Apps, richten sich zunehmend an den mobil interessierten Autofahrer. Auf der Suche nach Tankstellen, Einkaufzentren, Gaststätten oder Werkstätten schauen immer weniger Leute in Branchenverzeichnisse. Die gewünschte Antwort ist nur ein paar Klicks auf dem eigenen iPhone oder Samsung-Handy entfernt. Zunehmend haben die kleinen Programme einen Mehrwert, indem sie vor Blitzanlagen warnen, für eine tagesaktuelle Routenführung sorgen oder günstige Einkaufsmöglichkeiten an der Autobahn heraussuchen.

Zulieferer und Autohersteller wollen sich große Technologietrends nicht entgehen lassen. Stephan Durach leitet das BMW-Tec-Office in der Nähe von San Jose im Silicon Valley: „Wenn man in der Zeitung oder dem Internet von neuen Firmen und ihren Ideen liest, ist es an sich schon zu spät. Man muss früher dran sein.“ Das Tec-Office von BMW zog Anfang März von Palo Alto nach Mountainview um. „In der Nachbarschaft befinden sich hier Firmen wie Google, Facebook oder Apple“, erzählt Stephan Durach, „man trifft sich morgens zum Kaffeetrinken oder abends zum Mountainbiken. Immer wieder bringt jemand einen anderen mit. So lernt man sich zwischen den Firmen untereinander kennen.“ Ein großer Teil der Arbeit findet außerhalb von Büro und Konferenzräumen statt. So versucht BMW ebenso wie die anderen OEMs die neuesten Techniktrends zu entdecken und in die eigenen Autos zu bringen. Audi und Mercedes folgten den Vorreitern BMW und Mini und brachten bei A6, A7, A8 oder CLS und M-Klasse das mobile Internet ins Auto. Kleinere Modelle wie Audi A1 oder die Mercedes A-Klasse folgen zeitnah.

Neben neuen Anwendungen aus dem IT- und Multimedia-Bereich werden auch immer mehr Fahrassistenz- und Fahrzeugfunktionen in das Fahrzeug-HIM (Human-Machine-Interface) integriert“, blickt Michael Bolle, Bereichsvorstand von Bosch Car Multimedia, nach vorn. Die Bedienung der Systeme ist elementar. Bisher haben die meisten Sprachbedienungen deutliche Schwächen, und eine Freieingabe via Touchscreen drängt sich für viele Bereiche auf. Bosch entwickelt daher neue Module. „Unsere Systeme passen wir damit immer mehr den menschlichen Verhaltensweisen an“, so Dr. Michael Bolle, „wie zum Beispiel dem gleichzeitigen Sprechen, Anzeigen oder Berühren.“ Bereits nächstes Jahr will Bosch solche Systeme in Serien bringen. Hierbei kann der Fahrer das Zielgebiet auf der Karte markieren und über Sprache die genaue Zielposition konkretisieren.

Flexibel bleiben die neuen Systeme auch nach der Auslieferung des Fahrzeugs. War mit einer neuen Software bisher kaum mehr zu machen, als das Auto mit den neuesten Navigationsdaten zu versorgen, gehen die neuen, offenen Systeme bereits weiter. So will man die großen Unterschiede bei Produktionszyklen ausgleichen. Während ein Automodell bis zu acht Jahre aktuell ist, hat sich die Welt von Smartphones und Apps nach sechs bis zwölf Monaten nahezu komplett gedreht. „Die modernen Infotainment-Systeme werden immer mehr zu einer offenen Plattform“, erklärt Michael Bolle, „in die auch nach der Auslieferung eines Fahrzeugs spezifische Software-Angebote des Automobilherstellers und somit viele neue Anwendungen integriert werden können.“ So etwas gibt es aktuell allenfalls bei Computern oder dem Smartphone.

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