Bugatti

Mille Miglia im Bugatti T35 – Begeisterung in Blau

Wenn am Gardasee die Pizzabäcker mit mehligen Händen winkend an der Straße stehen, wenn an der Adriaküste eine alte Signora den Daumen vehement in die Höhe reckt und die Polizia mit dem Handy Erinnerungsfotos macht, wenn in Lucca ein kleiner Junge an der Hand seines Vaters auf und ab hüpft und „Un Bugatti, un Bugatti!” quiekt, dann ist Italien im Mille-Miglia-Fieber. Nirgendwo auf der Welt könnten 1.000 Meilen (italienisch „Mille Miglia”) oder etwa 1.700 Kilometer in einem fast 90 Jahre alten Rennwagen so schön sein, wie hier.

Auf dem Schotterparkplatz der Messe Brescia kann man nur erahnen, welch historisches Ereignis am frühen Donnerstagabend in der lombardischen Stadt starten soll. Die großen Lkw und Geländewagen mit Anhängern könnten bei flüchtigem Blick auch als Transporter für Rassepferde durchgehen.  

Doch spätestens, wenn man sich der Lorbeerhecke nähert, die den Platz vor den Messeeingängen abschirmt, wird klar, dass es hier um mehr als eine Pferdestärke pro Protagonist geht. Grollend, blubbernd, röhrend, knatternd laufen hier Motoren warm, Abgase kribbeln in der Nase, die Sonne spiegelt sich in funkelndem Chrom.[foto id=“511640″ size=“small“ position=“right“]

In die kühle Messehalle eingetreten ist es still – das muss die Ehrfurcht sein. Es riecht nach Öl, die Oldtimer aus Baujahren zwischen 1921 und 1957 von Alfa Romeo bis Zagato haben den Schmierstoff auf die Pappen unter ihnen getropft. Die 22 Grand-Prix-Rennwagen von Bugatti zählen hier zu den ältesten Fahrzeugen. Darunter auch der Typ 35, der mit mehr als 2.000 Siegen und Podiumsplätzen als einer der erfolgreichsten Rennwagen der Automobilgeschichte gilt. Einem Exemplar von 1926 muten wir die 1.600 Kilometer zu.

Mehr als 450 Fahrzeuge sind in diesem Jahr zu der Oldtimer-Rallye angetreten. Teilnehmen darf, wessen Auto oder Modell bei der legendären „Mille Miglia“ zwischen 1927 und 1967 dabei war, etwas mehr als 8.000 Euro kostet die Teilnahmegebühr. Viele haben eigene Mechaniker dabei, sind es doch Millionenwerte, die in ein Straßenrennen geschickt werden, das in der Originalauflage als eine der härtesten Motorsportveranstaltungen der Welt galt.

Für die 1.000 Meilen brauchten die schnellsten Piloten damals je nach Jahr zwischen 21 und 10 Stunden. Wenn die Fahrer mit ihren Renn- und Tourenwagen mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 157 km/h über die holprigen toskanischen Straßen rasten, kam es immer wieder zu Unfällen, nach einem schweren Crash 1957 wurde das Rennen in dieser Form verboten.

Auch wenn es heute nicht mehr nur um Geschwindigkeit geht – seit 1977 wird die Mille in der Neuauflage als Gleichmäßigkeits- und Zuverlässigkeitsrennen gefahren – auch mit knapp 90 Jahren kann der Typ 35, wenn der Fahrer will. Das beweist er zum Beispiel beim Anstieg nach Volterra. Grummelnd zieht der 2,3 Liter große, Reihen-Achtzylinder den nur 750 Kilogramm leichten T35 den Berg hoch, dank seiner Gewichtsverteilung von 50:50 stürzt sich der Bugatti-Blaue in jede Kurve mit Freude und einer Dynamik, dass sogar der 30 Jahre jüngere 300 SL Flügeltürer im Rückspiegel zurück fällt.[foto id=“511641″ size=“small“ position=“left“]

So mühelos das Auto also die Anstrengung nimmt, so hart müssen die beiden Insassen ackern. Der Fahrer kämpft in den Kurven am Lenkrad – natürlich ohne Servo -, gibt beim Schalten Zwischengas, um dem unsynchronisierten Getriebe die richtige Drehzahl anzubieten. Der Beifahrer versteift sich in schnellen Kurven, um nicht aus dem Auto zu fallen: Türen, Sportsitze, Sicherheitsgurte – alles Erfindungen der Neuzeit.

Und nicht immer hat man beide Hände frei zum Festhalten, zu fröhlich jubeln die Menschen am Straßenrand. Sie haben kurz ihre Arbeit unterbrochen, sind mit der Kindergartengruppe gekommen oder haben ihren Abendbrottisch an die Straße gerückt, Wein trinken und alte Autos gucken, freuen sich über jedes Winken aus dem alten Auto. An den lang mit Zuschauern gesäumten Straßen wird die Gerade zur Zielgerade, auf der im Kopf ein Tonband läuft: „Der Bugatti beschleunigt aus der Kurve, gibt Gas, wird schneller und schneller…“. Eigentlich ist das Rallye-Roadbook überflüssig: Stehen keine Mille-Fans mehr an der Straße, ist man falsch. 

Kaum merkt man nach einigen hundert Kilometern noch wie laut, heiß und eng es in dem offenen Zweisitzer ist. Der Achtzylinder unter der langen Motorhaube, die mit dicken Lederriemen festgezurrt wird, grollt kraftvoll, die gerade verzahnten Zahnräder im Getriebe (etwas anderes kannte man damals noch nicht) quietschen unter Belastung – eine ohrenbetäubende Kombination. An den heißen Getriebetunnel zwischen Fahrer und Beifahrer sollte man sich nicht anlehnen, auch, wenn die Versuchung groß ist bei dem knapp bemessenen Innenraum.

Blaue Flecken, Muskelkater, verspannten Rücken oder Summen im Ohr – nichts davon ist wirklich wichtig, solange das Auto durchhält. Wie in einem Rausch geht es durch Straßen der Lombardei, an der Adria-Küste entlang, über Rom durch hügelige Toskana zurück nach Brescia. Vier Tage, die trotz täglich frühen Starts mit der Nummer 22 um 6.37 Uhr durchaus mit einer nächtlichen Ankunft enden.

Für Müdigkeit ist kein Platz, wenn es nachts um zehn im Autocorso mitten durch die Altstadt von Bologna geht, die Zuschauer so eng am Auto, dass es ihnen fast über die Füße rollt, strahlende Gesichter und immer wieder das ehrfurchtsvolle Raunen: „Un Bugatti!“. Dreck im Gesicht rund um die Stelle, wo die dicke Brille saß, Fliegen auf den Zähnen vor lauter Grinsen, das Parfum der Straße aufgelegt, lässt man sich bestaunen und staunt zurück, ob der tausenden und abertausenden Auto-Fans.

Und wenn am nächsten Morgen ein Polizeimotorrad im Rückspiegel erscheint, hat man das ganz große Los gezogen. Blaulicht, überholen und ein kurzer Wink: Bitte folgen. Ab jetzt hat die Mille Miglia Vorfahrt, im Zweifel über die Mittellinie, der Polizist winkt, die anderen Autos weichen. Nirgendwo auf der Welt könnten 1.000 Meilen schöner sein als hier.

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