Audi

Querkraftfreies Fahren – So will Audi der Reisekrankheit ein Schnippchen schlagen

Familienväter können ein Lied davon singen: Kaum holt der Nachwuchs auf der Rückbank bei der Urlaubsfahrt den Gameboy raus, rebelliert der Magen. „Das ist ganz normal“, erklärt Audi-Entwickler Michael Bär und zitiert die medizinische Fachliteratur: Man schaut auf ein stilles Objekt, registriert aber die Bewegung des Wagens; das kann auf Dauer nicht gutgehen. „Denn wann immer das Gesehene und das Gefühlte nicht zusammenpassen, droht uns die Reisekrankheit.“ Das passiert zwar nicht jedem, doch je stärker man sich beim Autofahren auf andere Dinge konzentriert, desto größer ist das Risiko für Übelkeit.

[foto id=“354062″ size=“small“ position=“left“]Bär kennt das Problem aus eigener Erfahrung und möchte das den Mitfahrern im Auto von Morgen ersparen. Dafür hat der Doktorand ein System entwickelt, das die störende Querkraft  auf weiten Strecken eliminiert und so das Gesehene und das Gefühlte wieder in Einklang bringt: So, wie sich ein Skirennfahrer in die Kurve legt, stemmt sich auch der rote Audi A5-Prototyp zur Seite. Spezielle Stellelemente im aktiven Fahrwerk erlauben dafür eine Neigung von bis zu fünf Grad. „Jedes Rad können wir um fünf Zentimeter absenken oder anheben“, sagt Bär. Weil das kurveninnere und kurvenäußere Rad immer entgegengesetzt arbeiten, ergibt das eine Differenz von zehn Zentimetern, an der Außenkante der Kotflügel kann man sogar fast 14 Zentimeter Unterschied messen. Das reicht, um der Fliehkraft bis Tempo 130 ein Schnippchen zu schlagen: Selbst der volle Kaffeebecher schwapt nicht über, und der Magen hat seine Ruhe.

Der Ausgleich der Fliehkraft und der Kampf gegen die Wankneigung sind nicht neu. Aber sie haben bislang nur unzureichend funktioniert, sagt Bär mit Blick zum Beispiel auf die Neigetechnik-Züge der Bahn, die vom Volksmund den Namen „Pendolino“ bekommen haben. Denn bis dato können diese Systeme nur reagieren, [foto id=“354063″ size=“small“ position=“left“]erläutert Bär: „Bisherige Neigefahrzeuge müssen erst eine Querbeschleunigung messen, bevor sie darauf reagieren. Deshalb drückt es die Insassen am Kurveneingang seitlich in den Sitz, bevor die Kräfte eliminiert werden. Dies fühlt sich ziemlich unangenehm an.“ Sein Testwagen dagegen nutzt den elektronischen Weitblick der Videokamera, die auch für Spurführung und Verkehrszeichenerkennung eingesetzt wird. Sie kann die Straße lesen, den Radius abschätzen und die Fahrbahnneigung messen: „Somit weiß das Fahrzeug schon vor Kurveneinfahrt, wie stark es sich in der Kurve neigen muss, um die Querkräfte zu kompensieren.“ Das funktioniert bei der bisherigen Auslegung des Systems so gut, dass die üblichen Autobahnkurven bei Geschwindigkeiten bis 130 km/h sich wie bei Geradeausfahrt anfühlen. Und wer mit 200 Sachen in eine Kurve sticht, fühlt sich, als führe er Tempo 70.

Audi will die Neigetechnik, wenn sie denn überhaupt in Serie geht, auf Autobahnen und Bundesstraßen beschränken. Vor allem auf langen Urlaubs- und Dienstreisen könnte der Ingolstädter Pendolino seine segensreiche Wirkung auf die Mägen der Mitfahrer entfalten – ob nun die Kinder am Gameboy im Fond der Familienkutsche oder der Firmenlenker am Laptop in der Chauffeurslimousine. Noch wichtiger werden solche Systeme im Zeitalter der autonomen Autos. Wenn der Audi von übermorgen vielleicht tatsächlich einmal ohne Zutun des Fahrers über die Autobahn rollt, hat der schließlich mehr Zeit für andere Sachen. „Genau aus dem Kontext heraus ist die Idee für das querkraftfreie Fahren entstanden“, erläutert Bär, der nun auf [foto id=“354064″ size=“small“ position=“left“]eine möglichst schnelle Umsetzung hofft. Vielleicht nicht in zwei, drei Jahren, aber zum Beispiel zur nächsten Generation des A8 könnte die Technik serienreif sein.

Klar, ein wenig zu programmieren gibt es noch. Und auch die Fahrwerkskollegen hätten noch einiges zu tun, bis sie so viel künstlichen Federweg erzeugen können. Doch was Bär auf dem weiteren Weg in die Serie jetzt als nächstes bräuchte, wäre grünes Licht von Entwicklungsvorstand Michael Dick. Das dürfte trotz der frappierend wirkungsvollen Funktionsweise nicht ganz einfach werden. Denn der Vorstand fährt die Prototypen natürlich am liebsten selbst. Und dummerweise tritt die Reisekrankheit beim Fahrer als letztes auf.

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