Test: Harley-Davidson Sportster – Puristische Amerikanerin

Von Ingo Koecher – Mit der Harley-Davidson XR 1200 X hatten wir uns als Testmaschine für eine Sportster entschieden. Und das nicht ohne Grund, wollten wir doch keinen klassischen Cruiser, sondern eben etwas Sportlicheres über unseren Parcours treiben. Ja und treiben trifft es trefflich, denn unsere Erwartungen an die Sportster, die auf den ersten Blick ein wenig von einer Enduro hat, wurden zu Beginn gründlich enttäuscht. Ob die Amerikanerin am Testende das Ruder herumreißen konnte, zeigt unser Fahrbericht. Doch zuvor beginnt die Suche nach alternativen Maschinen gleichen Charakters am Markt. Da stellten wir schnell fest: Die gibt es nicht. Wenn die Harley-Davidson XR 1200 X überhaupt vergleichbar ist, dann eigentlich nur mit Schwestermodellen aus dem eigenen Stall. Das muss dann auch so stehen bleiben.

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Der Mythos

Schon als sie auf dem Hof stand, war klar: Sie ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Dennoch hat sie Pathos und versprüht dabei eine Aura, der sich zu entziehen, nur schwer möglich ist. Aber mal ehrlich, wer will das schon. Spätestens seit dem Ritt von Peter Fonda und Dennis Hopper in Easy Rider 1969 ist die Harley geadelt. Das ist bis heute so geblieben. Und so mancher wird sich dabei ertappen, wie er seinen eigenen Trip genießend, das Feeling von damals erlebt. Aber immer schön der Reihe nach.

Fahrbetrieb

Von mehreren Seiten bekamen wir zu hören, dass die Harley-Davidson XR 1200 X Sportster bullig, sogar etwas klobig wirkt. Von der Hand zu weisen ist das nicht, wenn sie so vor einem steht. Aber woher kommt dieser Eindruck? Mit dem zweiten Blick klärt es sich: Die Amerikanerin besteht – streng genommen – aus einem [foto id=“373688″ size=“small“ position=“right“]gewaltigen 1.200 Kubik V-Twin mit groß dimensionierten Abgasrohren und einem Sitz darüber. Mehr braucht es nicht fürs Bikerglück. Spartanisch, und auf das Wesentliche reduziert, so spiegelt die Sportster die Philosophie der amerikanischen Bikerschmiede wider.

Zum Thema „Stehender Verkehr“

Eine Harley, ganz gleich welches Modell, ist immer auch eine ordentliche Portion Sound: also – Zündung. Es kam, was kommen musste: Cool! Aufgesessen und los. Überraschend war das Fahren. Die Harley-Davidson XR 1200 X Sportster machte keinerlei Zicken. Sie entwickelt keine Allüren und ist absolut leicht im Handling. Das ist zum einem dem tiefen Schwerpunkt der Maschine, zum anderen dem spitzen Lenkkopfwinkel von 28,9 Grad zu verdanken. Im Vergleich dazu steht die Telegabel eines „waschechten“ Cruisers, wie etwa der Night Rod aus gleichem Hause, in einem Winkel von 34 Grad zur Straße.

Doch trotz der Kürze des Radstandes von 1.515 Millimetern – welcher der XR 1200 X Sportster zu einem kräftig-kompakten Auftritt verhilft – leugnete die Harley schon beim ersten Ausritt ihre Wurzeln nicht. Sie kommt aus der Cruiser-Schmiede schlechthin. Ein breiter, reisetauglicher Sitz, eine angenehm dimensionierte Lenkstange, und [foto id=“373689″ size=“small“ position=“left“]der unverwechselbare Sound, das ist es, was eine Harley ausmacht. Und genau das bietet die Sportster: Cruiser-Feeling vom Feinsten.

Dabei sorgen eine aufrechte Sitzposition, die Positionierung des Low Rise Lenkers mit allen Bedienelementen, wie auch das Kombiinstrument für reichlich Komfort. So platziert lassen sich Stunde um Stunde, völlig entspannt, Kilometer abspulen. Und das Ganze begleitet vom typischen Harley-Blubbern des mächtigen, luftgekühlten V-Twin.

Apropos Entspannung: Die stellte sich bei jedem Aufsatteln schon nach wenigen Metern ein. Dabei spielte es keine Rolle, ob es auf große Fahrt oder nur ums Eck zum Brötchen holen ging. Die Sportster ist „gesund“ für jeden, der sie fährt: Fahrer oder auch Fahrerin verlangt die Amerikanerin in keiner Situation etwas Absonderliches ab und Entspannung liefert sie zudem. Dafür sorgen leichtes Handling, top Straßenlage und die niedrige Sitzposition von 795 Millimetern. Alles zusammen macht dies das recht stattliche Gewicht von 260 Kilogramm [foto id=“373690″ size=“small“ position=“right“]vollgetankt vergessen.

Kleine Schwächen

Trotz aller Lobhudelei hat auch eine Harley-Davidson XR 1200 X Sportster die eine oder andere Schwäche. So etwa den von uns ermittelten Verbrauch von durchschnittlich 8,7 l/100 km, der sich bei moderater Fahrweise einstellte. Bei einem Motorrad sollte vor dem Komma maximal eine Sechs stehen, wenn das Bike, wie in unserem Test, ohne Spitzen auszutesten, ganz normal ohne Sozius und Gepäck, bewegt wird.

Ein zweiter Punkt sind die wenig motiviert wirkenden Reflektoren an der Telegabel sowie unterhalb der Sozius-Sitzfläche. Auf auto.de-Nachfrage teilte uns Harley-Davidson mit, dass diese Art von Reflektoren für eine Straßenzulassung in einigen Ländern verpflichtend sei. Somit muss man sich wohl damit arrangieren, wenn auch diese Lösung dem Gesamt-Designkonzept, das selbst den massigen V-Twin mit seinen großformatigen Abgasendrohren einschließt, wenig zuträglich ist. Besonderes Augenmerk ist zudem bei Regenfahrten darauf zu richten, dass die Regenhose an der die Abgasrohre führenden Seite, eng gebunden ist. Sonst läuft man Gefahr, Löcher zu riskieren, falls es zwischen Hose und Abgasrohr des hinteren Zylinders zum Kontakt kommt. Denn das wird, trotz doppelter Ummantelung, recht heiß.

Wenig schlüssig scheint uns auch die Umsetzung der Philosophie, nur das am Bike zu verbauen, was zum Fahren unbedingt nötig ist. Um so verwunderlicher ist da die Kombination von Lenker- und Zündschloss: Warum man sich [foto id=“373691″ size=“small“ position=“left“]bei Harley-Davidson nicht für ein Zentralschloss entschieden hat, muss an dieser Stelle offen bleiben. Am Lenkerschloss fiel uns überdies die Bildung von Flugrost auf. Hier sollte sich der Hersteller bei der Nietverbindung zwischen Stahlrohrrahmen und Lenkerschloss für eine Metalllegierung entscheiden.

Bremsanlage & Fahrwerk

Wünschenswert wäre das Antiblockiersystem ABS auch für die XR 1200 X der Sportster-Baureihe. Auf Nachfrage teilte Harley-Davidson mit, dass in 2012 bereits 21 Modelle mit ABS serienmäßig ausgerüstet würden. Die Sportster Modelle dürften dann sicherlich in 2013 folgen. Trotz (noch) fehlendem ABS, lässt sich die Bremskraft angemessen dosieren. Dafür sorgen zwei Bremsscheiben mit Vierkolben-Festsätteln vorne sowie eine Bremsscheibe mit Einkolbenschwimmsattel am Heck.

Zudem überzeugte die Fahrwerksabstimmung der Amerikanerin. So lassen sich die 43 mm Upside-Down-Gabel vorn und die Einarmschwinge hinten in Zug- und Druckstufe verstellen. Das verhilft der Sportster zu Cruiser-Komfort, sorgt aber darüber hinaus für ideale Bodenhaftung, wenn es etwas entschlossener vorangehen soll.

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Cockpit

Auch das Cockpit folgt der Philosophie der Marke: Alles Überflüssige muss weg. So findet sich ein Multifunktionsdisplay mit analogem Drehzahlmesser und darin befindlichem Display für Gesamtlaufleistung und [foto id=“373694″ size=“small“ position=“right“]Tageskilometerzähler. An gleicher Stelle liegen Kontrollleuchten für Zeituhr, Motortemperatur und Kraftstoffreserve. Darunter angeordnet folgen weitere Kontrollleuchten für Fern- und Abblendlicht, Öldruck, Ladekontrolle, Blinker, Kraftstoffstandwarnung, Motormanagement und dem Security System mit Wegfahrsperre und Diebstahlwarnanlage. Die Geschwindigkeit wird zur Linken des zentralen Drehzahlmessers auf einem separaten digitalen Tachometer angezeigt.

Intuitiv zu bedienen sind die Multifunktionsschalter zur rechten und linken Hand. Auch hier wurde auf Entbehrliches, wie etwa eigene Taster für Lichthupe oder Warnblinklicht, verzichtet. Dennoch stehen beide [foto id=“373695″ size=“small“ position=“left“]Funktionalitäten zur Verfügung. Über die Blinktaster rechts und links lässt sich das Warnblinklicht, über den Kippschalter für Abblend- und Aufblendlicht die Lichthupe aktivieren. Besonders innovativ: Die automatische Abschaltung des Blinklichts. In Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Winkel der Sportster wird der Blinker nach Durchfahren einer Kurve deaktiviert.

Aggregat und Antrieb

Aus einem Hubraum von 1.202 Kubikzentimetern schöpft der luftgekühlte, gummigelagerte Zweizylinder Evolution der Harley-Davidson XR 1200 X Sportster eine Leistung von 67 kW/91 PS. Dabei steht das maximale Drehmoment von 100 Newtonmetern bei 3.700 Umdrehungen pro Minute zur Verfügung. Die Kraftübertragung erfolgt per Kette an das Dreispeichen-Alugussrad hinten.

Auftritt[foto id=“373696″ size=“small“ position=“right“]

Die Harley-Davidson XR 1200 X Sportster bietet mit ihrem gewaltigen V-Twin einen typischen Harley-Eindruck. Sie wirkt spartanisch, kompakt und giert danach, endlich angemessen ausgeführt zu werden. Obgleich das aktuelle Modell der Baureihe die Sportster-Tradition fortschreibt, fällt sie dennoch etwas aus der Art. Denn die zum Heck hin hochgezogenen Abgasendrohre vermittelt Racer-, ja sogar Enduro-Feeling. Dabei signalisiert der Fahrersitz Langstreckentauglichkeit, wohingegen dem Sozius weit weniger Platz zugestanden wird. Dennoch bietet sich ihm durch die erhöhte Sitzposition ein angenehmes Sichtfeld.

Fazit

Als puristisch und dynamisch charakterisieren die Erbauer ihre Harley-Davidson XR 1200 X Sportster. Dem können wir uneingeschränkt zustimmen. Dabei kommt die vermeintlich schmucklose Amerikanerin ausgesprochen elegant [foto id=“373697″ size=“small“ position=“left“]und kräftig daher. Wenn auch das Outfit der XR 1200 X Sportster erst auf den zweiten Blick richtig zu fesseln weiß, so tut es das dann um so heftiger. Und hat man die Sportster einmal bewegt, fällt es schwer, sich ihrem „spröden“ Charme zu entziehen.

Wäre da nicht der aufgerufene Preis von stattlichen 11.990 Euro zuzüglich weiterer 380 Euro für die Überführung, würde das puristische Mädel sicherlich häufiger im Straßenbild zu finden sein. Andererseits kann man sich in der gegenwärtigen Situation als Fahrer einer Harley-Davidson XR 1200 X Sportster sicher sein, dass einen wohlwollende Blicke begleiten. Denn über jede Menge Liebreiz verfügt die Amerikanerin allemal.

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Bewertung –
Harley-Davidson XR 1200 X Sportster


Auftritt 1,6
Cockpit 1,8
Fahrbetrieb 1,5
Verbrauch 2,5
   
Kosten pro Jahr*  
   
Anschaffungspreis Testfahrzeug (ohne Überführungskosten) 11.990,00 Euro
Kraftstoffkosten** 1.201,84 Euro
Steuern 88,47 Euro
Wertverlust 2.398,00 Euro
Gesamtkosten pro Jahr:   
3.688,30 Euro
   
Testergebnis/Gesamtprädikat:  
1,9
   

*Kosten pro Jahr setzen sich zusammen aus Kraftstoffkosten, Kfz-Steuer (bei Ganzjahreszulassung), errechnetem Wertverlust (20 Prozent p. a. —  Wertverlust herstellerabhängig)
**Kraftstoffkosten bei 1,54 Euro/Liter Superbenzin und einer jährlichen Laufleistung von 9.000 Kilometern

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Datenblatt – Harley-Davidson XR 1200 X Sportster
   

Länge:

2.225 mm
Radstand: 1.515 mm
Sitzhöhe: 795 mm
   
Gewicht (fahrfertig, ohne Kraftstoff): 250 kg
Tankinhalt: 13,3 Liter
Lenkkopfwinkel: 28,9 Grad
   
Motor: Zweizylinder Evolution V-Twin mit elektronischer Kraftstoffeinspritzung, gummigelagert, luftgekühlt
Hubraum: 1.202 ccm
Leistung: 67 kW/91 PS
max. Drehmoment: 100 Newtonmeter bei 3.700 Umdrehungen pro Minute
   
Testverbrauch: 8,7 l/100 km im Mittel
Getriebe: manuelles 5-Gang-Schaltgetriebe
Sekundärantrieb: Kette
   
Radaufhängung  
Vorderrad: 43 mm Upside-Down-Gabel, einstellbare Zug- und Druckstufendämpfung
Hinterrad: Einarmschwinge, einstellbare Zug- und Druckstufendämpfung
   
Bremsen  
vorn: zwei Bremsscheiben mit Vierkolben-Festsätteln
hinten: Bremsscheibe mit Einkolbenschwimmsattel
   
Räder  
vorn/hinten: Dreispeichen-Leichtmetall-Gussrad, schwarz mit orangefarbenem Pinstripe
   
Preis: 11.990 Euro (zzgl. 380 Euro Überführung)

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