Mercedes-Benz

Youngtimer im Test: Mercedes 380 SL – Piekfeiner V8 in klein

Cabrios gehören zur Marke Mercedes wie die Weißwurst zu den Bayern. Und weil offene Fahrzeuge wie kaum ein anderes Segment die Schokoladenseite des Automobilbaus verkörpern, haben sie nicht nur bei den Fans, sondern auch bei den generell weniger emotionalen Nutzern einen ganz besonderen Stellenwert. Das gilt natürlich auch dann, wenn es um Old- und Youngtimer geht. Ein wenig kurios ist, dass der Mercedes SL der Baureihe 107 beides sein kann: Old- und Youngtimer.

Die schlichte Baureihe mit der stark an die S-Klasse der Siebziger angelehnten Rückleuchten-Graphik war 18 Jahre lang als Neuwagen zu haben. Im Jahr 1971 kam der Oben-Ohne-Vertreter als Nachfolger der wesentlich kürzer gebauten Pagode (werksintern 113) auf den Markt und wurde erst im Jahr 1989 durch den modernen R129 ersetzt. Viele Modellpflegemaßnahmen haben das offene Mercedes-Flaggschiff bis zuletzt auf dem neuesten Stand gehalten – sogar ein Fahrer-Airbag und der bei den Schwaben ebenso rare wie skurrile Reiserechner konnten gegen Aufpreis bestellt werden. Wir konnten einen aus der zweiten [foto id=“470460″ size=“small“ position=“left“]Serie stammenden 380 SL von 1983 für eine  Ausfahrt gewinnen.

Drei Jahre zuvor, als der R107 bereits neun Jahre gebaut wurde, gab es leichte optische Retuschen für den Innenraum. Das Lenkrad erhielt einen flacheren Pralltopf analog zur frisch eingeführten S-Klasse W126. Dass die Schalter für die (optionalen) elektrischen Fensterheber und die Warnblinkanlage nun weniger klobig waren, dürfte nur wahren Liebhabern ins Auge fallen. Technikaffine Interessenten mit dem Wunsch nach etwas mehr Punch unter der Haube kann natürlich der modifizierte, von 3,5 auf 3,8 Liter angewachsene kleine Achtzylinder mit dem internen Code M116 nicht entgangen sein, der nun außerdem komplett aus Aluminium bestand. So richtig beliebt waren die kleineren V8-Triebwerke bei der Kundschaft nie, weiß auch Damian Trzcionka aus Witten, der einen gepflegten 380 SL in Weiß mit blauem Verdeck zum selbstbewussten Kurs von knapp 39.000 Euro anbietet. Da ist eine Probefahrt natürlich verlockend – schließlich ist ein Mercedes-Cabrio aus der legendären SL-Baureihe immer ein ganz besonderes Vergnügen. Beim Schlüsseldreh fällt sofort das charakteristische Anlassergeräusch auf, danach verfällt der 3,8-Liter in einen sauberen Leerlauf.[foto id=“470461″ size=“small“ position=“right“]

Es geht über ein paar kleine Nebenstraßen, deren Asphalt die beste Zeit längst hinter sich haben, auf die Landstraße, wo der dachlose Benz mal etwas schneller rennen darf. Perfekt, um die Solidität des exakt 30 Jahre alten Kandidaten auf den Prüfstand zu stellen. Verwindung kennt der Roadster nicht. Völlig unbeeindruckt stampft das einstige Flaggschiff über Kopfsteinpflaster und weist die Viergang-Wandlerautomatik bei schwerer werdendem Gasfuß prompt an, hurtig einen Gang zurückzuschalten. Mit Drehzahlen hat der betagte Zweiventiler kein Problem – ein Dynamiker ist er nach heutigen Maßstäben natürlich nicht mehr. Unter zehn Sekunden von 0 auf 100 km/h geht es schon, wenn man dem Aggregat die volle Leistung denn unbedingt abverlangen möchte. Aber bitte nur bei warmem Öl.

Der piekfeine 107er ist ein exzellenter Cruiser, je nach Ausstattung gerne auch mit Tempomat. Dabei wandert der Blick immer hin und her zwischen Eco-Anzeige und Öldruckmesser; während die mobile Jugend letzteren höchstens noch aus alten Autogeschichten kennt, ist die bei Mercedes ebenfalls 1980 eingeführte Momentanverbrauchs-Anzeige inzwischen wieder brandaktuell.

Ein bisschen Holz und die Klimaanlage bekunden einen Luxus, der Anfang der Achtziger überwältigend war und uns heute schmunzeln lässt. Wo bleiben das vollautomatische Verdeck und die elektrisch verstellbaren Sitze? Wäre technisch kein Problem gewesen, sie kamen aber erst mit [foto id=“470462″ size=“small“ position=“left“]dem sechs Jahre später vorgestellten Nachfolger. So muss die blaue Stoffhülle noch mit der Hand in den dafür vorgesehenen Kasten gestopft werden, was in der Praxis aber wenig Kummer bereitet.

Kummer bereitet ein SL sowieso nicht, die Technik ist grundsolide, und auch Rostprobleme sind bei gepflegten Exemplaren kein Thema. Die üblichen Verschleißerscheinungen beim Antriebsstrang können auch einen R107 erwischen, aber dank hervorragender Ersatzteilversorgung und erträglicher Zubehörpreise bleiben die Kosten im Rahmen. Erfreulicherweise bekommt der hier thematisierte 380 SL aufgrund seiner Erstzulassung bereits ein H-Kennzeichen, was die Steuer mit 191 Euro pro Jahr zum moderaten Posten macht. Die späteren Modelle (ab 1985) wiederum erhalten zwar noch keine H-Zulassung, haben aber fast immer einen geregelten Katalysator. Aus dem 380 SL wird der 420 SL – es gibt ein wenig mehr Leistung auf die Hinterräder, aber beliebter wird das mittlere Modell dadurch kaum. Man nimmt entweder die Basis mit sechs Töpfen oder hat Mut zum Hubraum: Dann ist der Fünfhunderter das Maß der Dinge.

Chronik

1971: Die SL-Baureihe 107 wird eingeführt – zum Auftakt gibt es nur den 350
1973: Der 450 SL erscheint in den Preislisten
1974: Der sechszylindrige 280 SL wird nachgereicht
1980: Der R107 erhält analog zum W126 neue Achtzylinder 380 SL und 500 SL
1985: Dritte Serie des R107 startet – aus 280 und 380 werden 300 SL und 420 SL
1989: Nach 18 Jahren wird der 107er abgelöst

Datenblatt: Mercedes 380 SL

Zweitüriger Roadster
Länge: 4,39 Meter
Breite: 1,79 Meter
Höhe: 1,30 Meter
Radstand: 2,46 Meter
Benziner: 3,8-l-Achtzylinder-Otto
150 kW/204 PS
maximales Drehmoment: 315 Nm bei 3.250 U/min
Vmax: 205 km/h
0-100 km/h: in 9,8 s
Ehemaliger Neupreis (1983): 57.700 DM

Heutiger Marktpreis nach Classic Data

Note 1: 35.500 Euro
Note 2: 20.700 Euro
Note 3: 13.400 Euro

Ersatzteilpreise

Bremsscheiben rundum: etwa 80 Euro
Hardtop-Scheibe: etwa 100 Euro
Endschalldämpfer: etwa 270 Euro

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