Genfer Geschichten – International und schwer beschleunigt

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Copyright: SP-X/Matthias Knödler

Dass die für die Medienvertreter reservierten Tage des Genfer Automobilsalons (4. und 5. März) in diesem Jahr ausgerechnet auf den Fassnachts-Dienstag und den Aschermittwoch fallen, dient manch einem Journalisten aus den närrischen Hochburgen Deutschlands als willkommene Ausrede, einmal nicht zur ersten und wichtigsten europäischen Automesse der neuen Saison reisen zu müssen. Zumal viele der Hersteller ihre Premieren bereits am Abend des Rosenmontags in mehr oder weniger kleinen und mehr oder weniger exklusiven Kreisen feiern. Denn kaum ein Messestandort ist weniger gut für eine Autoschau geeignet, als die Multikulti-Stadt am Lac Léman, dem Genfer See. Chronische Verstopfungen der schmalen Innenstadtzufahrten, extrem überteuerte Hotelzimmer und Restaurantpreise auf höchstem Schweizer Niveau bieten nicht die besten Voraussetzungen für unbeschwerte Reise- und Arbeitsbedingungen.

Dabei ist Genf, bewohnt von rund 195.000 Bewohnern und gelegen am westlichen Ufer des Genfer Sees, ein durchaus gesegneter Flecken Erde. Kaum eine halbe Stunde dauert die Fahrt in die französischen Skigebiete im Süden, im Sommer lockt der See zum Bootsvergnügen unter Motor oder unter Segeln, das nördliche Ufer mit seinen lieblichen, von Weinbergen eingerahmten Dörfern gilt als Spitzenanbaugebiet Schweizer Weine. Und die Stadt selbst genießt ein internationales Flair, wie es in der Alten Welt kaum anderenorts anzutreffen ist. UNO, CERN, IKRK, WHO, IAO, IOM, ISO, ITU, WIPO, WMO, WOSM, WTO und UNHCR, die Abkürzungen der weltweiten Hilfs-, Handels- und Forschungsorganisationen, die hier ihre Zentralen angesiedelt haben, sind nicht jedem geläufig. Selbst alteingesessene Genfer kommen ins Stocken, sollen sie alle aufzählen. Fast jeder zweite Einwohner der Stadt ist nicht von Schweizer Nationalität, die Gesandten, Abgeordneten und Delegierten der Einrichtungen sorgen für eine bunte Völkermischung auf den Straßen und in den Restaurants.

Keiner jedoch vergisst das weithin sichtbare Wahrzeichen Genfs, die gewaltige Fontäne in der Genfer Bucht, die von zwei Turbinen mit zusammen 1.000 kW Leistung bei gutem Wetter einen Wasserstrahl 140 Meter in die Höhe schießen lassen. 500 Liter Wasser werden je Sekunde noch oben gepumpt, an der Austrittsdüse hat es eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Ursprünglich war die Fontäne viel kleiner und im Grunde nur ein Überdruckventil einer Druckwasserleitung, die den Schleifmaschinen der  Genfer Juweliere Energie zuführte. 1891 entschieden die Stadtväter, aus der kleinen Fontäne eine große zu machen und verlegten den Wasserstrahl ins Hafenbecken kurz vor dem Ausfluss der Rhone, die den Genfer See von Martigny im Osten bis nach Genf durchquert. 1951 wurde die heutige Anlage errichtet. Nachts wird die weiße Fontäne beleuchtet, bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts und zu starkem Wind jedoch abgeschaltet. Dennoch kann es sein, dass die Fußgänger auf dem nördlichen Quai Wilson oder dem südlichen Quai Gustav-Ador bei einer sanften Brise in den Genuss einer kühlen Dusche von feinperligem Wasser gelangen.

Für grenzwissenschaftliche Experimente steht das Forschungszentrum CERN, dessen Ringbeschleuniger, oder besser, die Arbeiten die in ihm vorgenommen werden, immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Der Umfang des Rings misst 26,659 Kilometer, 9.300, auf minus 271,25 Grad heruntergekühlte Magnete sind darin so angeordnet, dass sie kleinste Teilchen an der Schwebe halten und in Schwung bringen können. Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit prallen die Positronen schließlich aufeinander, dabei zerfallen sie in ihre Bestandteile. Ziel ist es, die kleinsten Teilchen zu detektieren, ob es sich bei dem im Juli 2012 entdeckten Element tatsächlich um das sogenannte Higgs-Teilchen handelt, konnte bis heute jedoch nicht nachgewiesen werden.

Legenden ranken sich um den Beschleunigerring, der sich aus Platzgründen (ebenso wie der Genfer Flughafen) zum großen Teilen auf französischem Territorium befindet. Anti-Materie soll mittlerweile hergestellt sein, eine Energiequelle, die, so sie denn existiert, von den Ausstellern im nicht weit entfernt gehaltenen Autosalon in ferner Zukunft gerne als Antriebskraft genutzt würde. Tatsache ist unterdessen, dass im CERN die Wiege des Internets zu finden ist. Die Forscher Tim Berners-Lee und Robert Cailliau haben es unter Nutzung ähnlicher Vorläuferideen hier weiterentwickelt um den Wissenschaftlern in der Forschungseinrichtung einen schnelleren und einfacheren Informationsaustausch zu ermöglichen. 1991 haben sie es dann ohne Patentierung und ohne die Forderung nach Lizenzzahlungen dem freien Markt zur Verfügung gestellt.

Irgendwo in der Grauzone zwischen Dichtung und Wahrheit sind die Erzählungen über die legendären Autowettfahrten angesiedelt, die es in den 1970ern auf der Autobahn zwischen Genf und Lausanne gegeben haben soll. Die 64,9 Kilometer lange Strecke entlang des nördlichen Seeufers diente Heißspornen und Car-Guys, das Leistungspotenzial ihrer Porsche, Bentley oder Triumph unter Beweis zu stellen. Startort war irgendein Club, eine Bar in Genf, gedreht wurde unter der Aufsicht eines vorausgeschickten Unparteiischen am Knotenpunkt in Lausanne. Wer zuerst wieder am Tresen saß, hatte gewonnen. Helmut V., ein Herrenfahrer aus jenen Jahren, habe das mit seinem Porsche 356 GT in weniger als 30 Minuten geschafft, heißt es. Heute gilt auf der Strecke zwischen Genf und Lausanne wie überall in der Schweiz ein Tempolimit von 120 km/h, mehr als 40 mit Kameras bestückte Geschwindigkeitsmessanlagen lauern auf die Eiligen. Wer mit dem Auto zum Genfer Salon reisen will, kann sich Zeit lassen. Die Messe ist bis zum 16. März für private Besucher geöffnet.

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