São Paolo im Portrait: Stadt der Gegensätze

(adrivo.com) Riesengroß und unfassbar eng, Wirtschaftsmotor und Elendsviertel – In São Paolo treffen sich die Gegensätze.

In São Paolo verdienen die Leute das Geld, das sie in Rio ausgeben. Diese Redensart bringt das Verhältnis der zwei großen brasilianischen Metropolen zueinander auf den Punkt. Während Rio de Janeiro mit Karneval und Copacabana für Lebenslust steht, ist São Paolo der wirtschaftliche Motor Brasiliens, mehr noch: Der Ballungsraum São Paolo mit seinen 19,7 Millionen-Metropole Einwohnern ist nicht nur die größte Stadt der Südhalbkugel , sondern auch das größte Geschäftszentrum Lateinamerikas.

Das war nicht immer so. Zwar wurde São Paolo schon 1554 von zwei jesuitischen Missionaren gegründet, doch lange fristete die Siedlung ein Schattendasein, da das Gebiet nicht besonders gut für den Zuckerrohranbau geeignet war. Bekannt war der Ort lediglich für seine „Expeditionen“ zur Jagd von Indios, die man als als Arbeitssklaven benötigte. Erst 1711 bekam São Paolo das Stadtrecht verliehen. 1822 wurde von hier aus die brasilianische Unabhängikeit gegenüber Portugal erklärt. Dennoch sollte der große Aufschwung erst mit dem Kaffee-Boom ab 1850 erfolgen. Durch die Industrialisierung um 1920 wurde São Paolo endgültig zum führenden Wirtschaftszentrum.

Heute wird die Stadt geprägt durch eine imposante Skyline. Nicht nur an der alten Prachtstraße, der Avenida Paulista – so nennen sich übrigens auch die Einwohner São Paolos – reiht sich Hochhaus an Hochhaus, in denen zumeist internationale Konzerne ihren Sitz haben. Diese sind in São Paolo zahlreich vertreten. Unter ihnen befinden sich auch über 1000 deutsche Firmen, weswegen São Paolo gerne als „größte deutsche Industriestadt“ bezeichnet wird. Noch heute ist VW do Brasil, wo 2002 übrigens der letzte Käfer vom Band lief, der größte Arbeitgeber des Landes.

Nicht nur wegen Häuserschluchten wird São Paolo in Brasilien gerne mit New York verglichen. Die Stadt ist ein multikultureller Schmelztiegel, viele Immigrantengruppen prägen das Gesicht ganzer Stadtteile. Insbesondere portugiesische, aber auch italienische, japanische, libaniesische und deutsche Einflüsse werden im Stadtbild sichtbar. Zudem verstecken sich zwischen den Hochhäusern häufig wunderschöne Kolonialbauten.

Und noch etwas hat die brasilianische Metropole mit seinem Vorbild aus Amerika gemein. Ebenso wie New York, Paris und Tokio darf sich auch São Paolo „Internationale Hauptstadt der Gastronomie“ nennen. Wer gut und vielfältig essen möchte, ist hier richtig. Die internationale Küche wird meist mit brasilianischer Eigenart zubereitet. Wer es richtig einheimisch mag, der geht in eine der zahlreichen Churrascarias, wo einem das gegrillte Fleisch direkt vom Spieß serviert wird.

Doch wie alle Metropolen in Schwellenländern ist auch São Paolo ein Moloch. Das unkontrollierte Wachstum der Stadt, die hohe Industriedichte und der starke Verkehr lassen jedes europäisches Industriegebiet im Vergleich zu São Paolo wie eine Naturschutzzone aussehen. Luft- und Wasserverschmutzung, Lärm, Abgasemmissionen, Müll und Abwasser – die Liste der Umweltprobleme ist sehr lang. Die beiden Hauptflüsse der Stadt, Rio Tete und Rion Pinheiros sind biologisch tot und zu reinen Abwasserkanälen verkommen.

Durch die fast vollständige Bebauung des riesigen Stadtgebiets gibt es nur wenige Parks und Grünflächen zur Erholung in der mit 750 bis 900 Meter über dem Meeresspiegel sehr hoch gelegenen Stadt. Biotope, wie der Parquo do Ibirapuera, der auf 1,6 Millionen Quadratmetern die wichtigsten einheimischen Gewächse Brasiliens versammelt und an den Wochenenden einen regen Zulauf hat, sind die Ausnahme. Zudem hat das unkontrollierte Wachstum der Region dazu geführt, dass in der Peripherie zahlreiche irreguläre Elendssiedlungen wuchern, in denen rund ein Viertel der Einwohner São Paolos hausen.

Doch als erstes fällt den meisten Besuchern der durchaus als wahnsinnig zu bezeichnende Verkehr auf. Staus und chaotische Verkehrsverhältnisse können bei den in São Paolo nicht unüblichen Starkregenfällen zu einem völligen Zusammenbrechen des Straßenverkehrs führen. Zwar verfügt die Stadt über ein relativ modernes und sicheres U-Bahnnetz, doch das reicht mit seinen drei Linien bei weitem nicht aus, um die Situation zu entspannen. Stattdessen hat sich der Kraftfahrzeugbestand seit 1997 auf fünf Millionen verdreifacht.

Wer es sich leisten kann, benutzt in São Paolo nicht das Auto, sondern den Hubschrauber. Nirgendwo sonst auf der Welt soll es mehr Helikopterlandeplätze geben. Auf diese Art entegehen die Reichen und Superreichen der Stadt nicht nur dem Wahnsinn auf den Straßen, sondern auch der ausufernden Kriminalität in São Paolo, dessen Stadtteile im Süden die höchsten Mordraten der Welt besitzen.

„Seit je gehört der Überfall in São Paulo zur Folklore, zum Lebensrisiko, auch für Stewardessen, Busfahrer, Handwerker. Die Brasilianer, mit ihrem Talent zur Leichtigkeit, erzählten sich solche Geschichten als Partytalk: neulich, in der Tiefgarage, neulich, an einer Ampel“, schrieb kürzlich. „Das geraubte Geld nehmen die Gangster als eine Art Solidarzuschlag, als forcierte Umverteilung.“ Denn dem unermesslichen Reichtum weniger steht die Armut vieler gegenüber – und das auf engstem Raum. Die Fläche São Paolos besitzt siebeneinhalbfache Ausdehnung Stuttgarts, doch es leben hier 17-mal so viele Menschen.

Trotz der vielen sozialen Probleme – in einem sind sich die Paolistas einig: In der Verehrehrung ihrer Formel 1-Stars, die neben den Fußballern die großen Helden des Landes sind. Emerson Fittipaldi, Rubens Barrichello, Felipe Massa und natürlich der unsterbliche Ayrton Senna – sie alle sind Söhne São Paolos. So werden am Wochenende wieder Hunderttausende aus dem Moloch in den 12 Kilometer außerhalb des Stadtkerns liegenden Vorort Interlagos pilgern, um ihre Helden anzufeuern. Zumindest die, die es sich leisten können.

© adrivo Sportpresse GmbH

UNSERE TOP-ANGEBOTE FÜR SIE

MEHR ERFAHREN AUS DEM BEREICH NEWS

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Stärker war noch kein Serien-Porsche

Stärker war noch kein Serien-Porsche

zoom_photo