Mercedes-Benz

Hintergrund Kältemittel: Wer wird sein Gesicht verlieren?

Über Nacht hat sich der Bock selbst zum Gärtner gemacht. Mit anderen Worten: Die Franzosen, bislang mit ihren zahlreichen Kernkraftwerken als überzeugte Umweltschützer eher unverdächtig, setzen plötzlich auf dunkelgrüne Argumente, um die Zulassung neuer Mercedesmodelle der Baureihen A, B, CLA und SL zu verhindern.

Anfang Juli traf der französische Bannstrahl die Stuttgarter Autobauer, weil sie die Klimaanlagen der genannten Modelle statt mit dem von der EU geforderten neuen Kältemittels R1234yf mit dem bislang gebräuchlichen Gas R134a befüllten. Grund: Bei Tests hatte sich herausgestellt, dass Mercedes-Fahrzeuge wegen des neuen Mittels nicht nur in Flammen aufgingen, sondern sich danach die Rückstände von R1234yf in lebensgefährliche Flusssäure verwandelt hatte. Umgehend setzte Mercedes das Mittel auf die unternehmensinterne rote Liste.

Es geht um 30.000 Autos[foto id=“477251″ size=“small“ position=“right“]

Den Franzosen kam der schwäbische Schritt offensichtlich wie gerufen. Weil die eigene Automobilindustrie – Peugeot/Citroen und Renault – vor sich hin siecht, ist offensichtlich jedes Mittel recht, das die Konkurrenz aus dem Ausland fern hält, auch wenn dabei ein paar eigene Mercedes-Händler über die Wupper beziehungsweise die Seine gehen. So sitzt zum Beispiel Jean-Claude Bernard, der im Großraum der Senfmetropole Dijon über fünf Betriebe Autos mit dem Stern vertreibt, derzeit auf 45 Fahrzeugen im Wert von 1,35 Millionen Euro, denen die Zulassungsbehörden die notwendigen Stempel verweigern. Damit nicht genug: Um die betroffene Kundschaft bei Laune zu halten, hat sie die Wahl, entweder ihr altes Fahrzeug ohne weiteren Wertverlust weiter zu fahren, bis sich die Lage wieder entspannt oder zum Nulltarif einen fabrikneuen Mercedes, den der französische Bann nicht getroffen hat, auf Kosten des Händlers zu fahren. Insgesamt, so wird in Stuttgart hochgerechnet, könnte es um 30 000 Autos gehen – falls sich nicht andere Mitgliedsländer der EU dem französischen Beispiel anschließen.

Korrekturmaßnahmen

In diesem – gar nicht unwahrscheinlichen – Fall würden es noch weit mehr. Im Brüsseler Behördendeutsch der EU-Kommission hört sich das so an: „Die Mitgliedsstaaten haben anerkannt, dass bezüglich der Wagen, die nicht konform mit EU-Gesetzgebung sind, Korrekturmaßnahmen ergriffen werden sollen, um die Wagen konform zu machen. Eingeschlossen das Zurückziehen von jenen nicht-konformen Fahrzeugen, die bereits auf dem Markt verkauft wurden, wie das bereits von einem Mitgliedsstaat getan wurde.“

Mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung durch das oberste französische Verwaltungsgericht versucht Mercedes jetzt, das Schlimmste zu vermeiden und argumentiert, dass seine Autos samt und sonders – wenn auch zum Teil nachträglich – die Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt erhalten haben. Bislang galt diese Freigabe nämlich als europaweit gültig.

[foto id=“477252″ size=“small“ position=“left“]Frankreich hat über Nacht den Umweltschutz entdeckt

Frankreich hingegen, das über Nacht den Umweltschutz entdeckt hat, beruft sich auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2007, in der es heißt: „Falls Fahrzeuge … die Umwelt oder die öffentliche Gesundheit ernsthaft gefährden“, könnte ihr Verkauf zunächst für ein halbes Jahr verboten werden. Und dass R134a für die Umwelt weit mehr als 1000mal schädlicher wirkt als R1234yf gilt als unbestritten. Zur Zeit arbeiten allerdings noch 95 Prozent aller Klimaanlagen in den Autos mit dem alten Kältegas, in Deutschland sind noch nicht einmal 40 000 Wagen mit dem neuen unterwegs.

Inzwischen hat das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg eigene Untersuchungen zum Pro oder Contra von R1234yf in Auftrag gegeben – und dass ausgerechnet beim TÜV Rheinland, der letztlich auch bei Tests mit dem Crossover Opel Mokka dem neuen Mittel die Unbedenklichkeit bescheinigt hatte. Die Ergebnisse sollen in Kürze veröffentlicht werden. Doch was bereits jetzt vorab die Runde macht, lässt Schlimmes ahnen. Journalisten von „Auto Bild“ wollen aus Insiderkreisen erfahren haben, dass die Tests alles andere als professionell durchgeführt wurden. So soll zum Beispiel eine einzelne Crashsituation, bei der nichts passierte, dem Kältemittel seine Sicherheit bescheinigen. . Der sogenannte „Ausströmversuch“ wurde laut „Auto Bild“ nur an drei von vier Autos durchgeführt. Bei einem Crash mit 40 km/h war der Kältemittel-Kreislauf bei der Mercedes B-Klasse intakt geblieben. Statt den Test mit einer höheren Geschwindigkeit zu wiederholen, um einen Schaden zu provozieren, hatten die Tester des TÜV Rheinland das Modell aanscheinend nicht weiter untersucht.

Kann sich also ausströmendes Kältemittel bei einem Unfall am heißen Motor entzünden? Gerade das Fehlen dieser Erkenntnis hatten Befürworter des neuen Mittels an den Tests von Mercedes im vergangenen Herbst kritisiert. Daimler hatte das Kältemittel in den Motorraum von intakten Fahrzeugen ausströmen lassen. Die Strömungsverhältnisse sind in einem durch einen Unfall verformten Motorraum jedoch andere als bei einem unbeschädigten Auto, so die Kritik.

Angreifbar, so „Auto Bild“, seien auch die Versuche mit drei weiteren Fahrzeugen, dem Hyundai i30, dem Opel Mokka und dem Subaru Impreza. Die Schäden an den Klimaleitungen hätten nicht das notwendige Ausmaß, um die für eine Entzündung notwendige Wolke im Motorraum zu erzeugen. Um dennoch eine Fluorwasserstoff-Messung durchführen zu können, träufelten die Prüfer angeblich das Kältemittel auf heiße Motorteile. Daher habe das Ergebnis keine Aussagekraft. Es steht daher zu befürchten, dass das KBA dem Kältemittel R1234yf seine Sicherheit bescheinigt, ohne die Folgen der schlimmsten denkbaren Crash-Situation ermittelt zu haben. Alles in allem deutet viel darauf hin, dass mindestens einer der Beteiligten am Streit um das politisch korrekte Kältegas sein – wie die Chinesen sagen – Gesicht verliert und als Verlierer dasteht. Es sei denn, die deutsche Automobilindustrie schafft es in Rekordtempo, eine Alternative zu präsentieren. Zum Beispiel wie von VW und Mercedes-Benz angekündigt, CO2 als das neue Kältemittel.

UNSERE TOP-ANGEBOTE FÜR SIE

MEHR ERFAHREN AUS DEM BEREICH NEWS

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

E-Go stellt erneut Insolvenzantrag

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Rivian R2 und R3: Eine Überraschung in Kalifornien

Stärker war noch kein Serien-Porsche

Stärker war noch kein Serien-Porsche

zoom_photo