Kommentar: Eine Frage der Klasse oder “Watt haste Dir verändert“

„Wir wollen, dass der Passat Benchmark in seiner Klasse wird“, stellte Dr. Ulrich Hackenberg, Entwicklungschef und Vorstand der Marke Volkswagen, jetzt bei der Präsentation des Volkswagen Passat im spanisch-baskischen Barcelona fest. „Nie hat ein Passat die Kernwerte unserer Marke besser repräsentiert als dieser Passat.“ So viel Anspruch will bewiesen werden.

Hackenbergs Chef, Prof. Martin Winterkorn, setzt in der Broschüre zum neuen Passat in 36 Punkt großer Schrift noch einen drauf: „Der neue Passat steht für alle Werte, die Volkswagen auszeichnen und einzigartig machen: Höchste Qualität in allen Details, technologische Führerschaft und erlebbare Innovation, Fahrspaß und konsequente Effizienz.“ Was ist nur aus Volkswagen geworden. Früher war man froh, wenn er lief und lief und lief. Es soll sogar eine Zeit gegeben haben, in der man nach 100 000 Kilometer mit dem Käfer eine goldene Uhr bekam. Heute aber reklamiert man technologische Führerschaft. Watt haste Dir verändert?!

Erst der Golf und dann der Polo haben gezeigt, wohin der Weg führt: Weg vom akzeptablen Auto für alle, hin zu einem neuen Niveau – auch für alle?

Der neue Passat ist der siebte seiner Art, und er ordnet sich ein in die Reihe der Qualitätsautos, die einst mit dem Phaeton begann, dann Polo und Golf hervorbrachte. Der Passat ist eine der Stützen des Geschäfts, auch in China, wo er demnächst als „Mogatan“ eine zweite Karriere starten wird. Aber dieser Passat soll mehr sein als nur die siebte Generation. Er soll die Familien bei der Stange halten und die Flottenmanager begeistern. Schließlich befindet sich der Konzern im Aufwind. Bis September hat Volkswagen weltweit zwölf Prozent Fahrzeuge weltweit mehr zugelassen als im Vorjahr. Der Lauf soll weitergehen. Dafür braucht man einen erfolgreichen Passat.

Um diesen Erfolg zu erreichen, orientiert man sich in einem umkämpften Markt nach oben – im eigenen Hause und beim Wettbewerb. Volkswagen betont bei jeder Gelegenheit die Nähe des Neuen zum Phaeton und gelegentlich auch die Verwandtschaft mit dem Touareg. Damit meint man nicht nur das Design, sondern auch das Niveau an Komfort, Sicherheit und Technologien, wie sie bisher in dieser Klasse nur im Premiumsegment zu haben war. 19 Assistenzsysteme bietet der Passat, sagt Hackenberg, einige in der Serie, andere in der Aufpreisliste.

Betrachtet man die Summe aus Design, Technologie und Qualität, hat der Passat in der Tat einen großen Schritt in Richtung Premium zurückgelegt. Hackenberg beschreibt ihn gar als „Brücke zur Oberklasse“. Sieht man die Dinge durch die deutsche Brille, hat Volkswagen mit seiner Mittelklasse auf einmal die von Mercedes-Benz im Blick. Deswegen wohl auch die klassische Analog-Uhr in der Mittelkonsole.

Hackenberg bezeichnet die Komplettausstattung des Passat mit Assistenzsystemen als deren „Demokratisierung“. Das haben wir zwar auch schon von Opel beim Insignia und bei Ford bei Mondeo, S-Max und Galaxy gehört. Wenn aber ein solches Wort aus Wolfsburg kommt, hat es ein anderes Gewicht. Galt doch schon in der Vergangenheit die Regel: Spät kommen sie, aber dann mit Macht.

Die Marke Volkswagen setzt ihren Weg an den oberen Rand der Segmente fort, allerdings ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Auch für den Passat wird es 2011 einen 1,6 TDI mit 105 PS und einem Durchschnitts-Normverbrauch von 4,2 Litern Diesel geben. Und mit dem heute stärksten Motor mit 170 PS wird noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein.

Auch die Preisspanne von 24 245 Euro bis 39 150 Euro für den großem Diesel und Allradantrieb in der Version Highline wird damit noch nicht ausgereizt sein, ebenso wenig wie die Technik. Hackenberg sagt für die kommenden zehn Jahre voraus, man werde den Durchschnittsverbrauch beim Benziner und beim Diesel noch einmal bis zu 15 Prozent senken können. Einen Minderverbrauch von bis zu 18 Prozent reklamieren die Wolfsburger schon für den aktuellen Passat im Vergleich zu seinem Vorgänger.

Doch was hat der Passat-Kunde vom Neuen außer dem geringen Verbrauch und einer Menge Assistenzsysteme? Scheinbar gar nicht so viel. Denn am Radstand hat sich nichts geändert. Der neue Passat wurde nur vorn ein wenig kürzer und dafür hinten ein bisschen länger. Die Designer wird das gefreut haben, die Passat-Kunden sicher auch; denn nun wirkt er deutlich besser proportioniert, mehr als die paar Zentimeter Verschiebung hätten erwarten lassen.

Außerdem hat er seinen Charakter geändert. Nichts Biederes ist ihm mehr eigen. Er wirkt souveräner und dynamischer. Kein Dienstwagenfahrer wird sich am Stammtisch mehr entschuldigen müssen: „Es ist ja nur ein Passat.“ Familienväter hatten mit dem Passat-Image sowieso nie ein Problem. Die waren sowieso von der Zuverlässigkeit, der Flexibilität und der Wirtschaftlichkeit einschließlich einem gutem Wiederverkaufswert überzeugt.

Wenn nun zum guten Auto auch noch die gute Kommunikation kommt, dann hat der neue Passat dem Unternehmen nicht nur einen Quantensprung bei Technik und Design verschafft, sondern auch beim Image. Dem Golf schon bescheinigte die Fachwelt einen solchen Quantensprung, ebenso dem Polo für sein Kleinwagensegment. Der Passat hat das Zeug dazu, diese Reihe bei den Limousinen fortzusetzen.

Hackenberg will, dass der Passat „die Grenze seines Segments überwindet“. Wir wollten das jetzt in der Praxis fühlen und begaben uns mit einem Passat Variant TDI mit 1,6-Liter-Diesel und 103 kW / 140 PS auf eine lange Testtour.

Über Design lässt sich’s trefflich streiten. Aber soviel kann man immerhin festhalten: Der Passat hat Charakter bekommen; die Nähe zum Phaeton bekommt ihm besser, vielleicht besser als dem Phaeton die Nähe zum Passat bekommt. Aber dafür hat man ein Flaggschiff, um die anderen daran auszurichten. Das ist gelungen – außen wie innen. Gleichzeitig ordnet das neue Gesicht den Passat auch ins gemeinsame Markendesign ein.

Fährt man ihn, fällt zunächst auf, dass er deutlich weniger Fahrgeräusche durchlässt. Schon der Golf fährt leise, der Passat leiser. Geräusch hatte bei den Komfortaspekten im Lastenheft der Entwickler offenbar eine hohe Priorität. Dafür spricht die Qualität der Sitze ebenso wie die angenehme Optik des Innenraums. VW-Chefdesigner Klaus Bischoff nannte das Design im Allgemeinen und im Besonderen das des Innenraums „fein ziseliert“: Das beschreibt die Anmutung recht gut; denn nichts Sichtbares hinterlässt den Eindruck, man habe Kosten sparen wollen. In diesem Ambiente wird der neue Anspruch erlebbar.

Alles passt: die Anordnung, die Übersichtlichkeit, die Bedienbarkeit. Nur die Navi hatte in den spanischen Bergen Probleme, mit der Geschwindigkeit der Kreisverkehrbauer Schritt zu halten. Die Sechs-Gang-Schaltung liegt gut zur Hand und lässt sich butterweich schalten. Die Lenkung arbeitet präzise. Federung und Dämpfung liegen eher auf der komfortablen Seite, arbeiten aber sicher nicht zu weich, um nicht auch in Spitzkehren noch Fahrfreude aufkommen zu lassen. Dieses Umfeld ist aber nicht das, in dem der 140-PS-Diesel sich wohlfühlt. Da hätte man gern etwas mehr Kraft zur Verfügung. Aber die Welt besteht nicht nur aus Bergstraßen. Auf Langstrecken kann der Motor seine Stärken ausspielen und mit seinem Durchschnittsverbrauch (nach EU-Norm) von 4,6 Litern auf 100 km.

Auf Langstrecken können auch die Assistenten ihre Stärke zeigen. Dann gewinnt man in der Tat den Eindruck, dass eine adaptive Abstandregelung, der Fahrspurassistent und auch die Warnung vor Müdigkeit einen Gewinn an Sicherheit bringen. Gern loben wir auch den Fernlichtassistenten, der Fernlicht immer dann einschaltet, wenn niemand geblendet wird. Alles zusammen bringt dem Vielfahrer einen deutlichen Gewinn an Sicherheit. Diese Funktionen und mehr findet man auch bei den Premiummarken. Doch jetzt ziehen sie eben auch in das Massenprodukt Passat ein, was ihren Sicherheitsgewinn zum gemeinen Volk bringt.

Hackenberg will den Passat als Maßstab seiner Klasse sehen. Der Neue bietet viel, deutlich mehr als sein Vorgänger. Nun bleibt nur noch die Frage, was er unter „Klasse“ versteht. Denn andere in der Mittelklasse können das auch. Also wird man in die Klassen-Frage auch die Preisklasse mit einbeziehen müssen. Und da ist der Passat bescheidener als andere.

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