Bedrohte Vielfalt – Markensterben im Westen, Geburtenexplosion im fernen Osten

In China schlägt es noch kräftig, das Herz der Automobilindustrie. Während die Branche im Westen nach 125 Jahren Dauer-Aufschwung an übersättigten Märkten und Kunden krankt, ist das Autoreich der Mitte viriler als je zuvor. Zu sehen ist das nicht nur an Produktion und Absatz, sondern auch an der immensen Zahl von Marken-Neugründungen. Im Westen hingegen sinkt die Vielfalt.

Seit Anfang des Jahrtausends hat sich die Zahl der chinesischen Automobilmarken mehr als verdoppelt. Kam man 2001 beim Durchzählen noch auf 26 unterschiedliche Logos und Namen, waren es 2011 bereits 60. Noch gar nicht mitgezählt ist da der frischeste Neuzugang: Qoros, eine Neugründung des chinesischen Chery-Konzerns gemeinsam mit der israelischen Israel Corporation. Die in Shanghai ansässige Firma will Premium-Autos bauen und sich in Sachen Qualität und Anmutung mit niemand geringerem als VW messen. Das erste Modell, eine kompakte Limousine, soll Anfang 2013 auf dem Genfer Salon präsentiert werden – und dann den chinesischen und europäischen Markt erobern. Helfen sollen dabei übrigens zwei Deutsche, der Ex-Mini-Designer Gert-Volker Hildebrand und VWs ehemalige US-Chef Volker Steinwascher.

Von den meisten China-Neugründungen hingegen hat in Deutschland wohl kaum jemand je gehört. Da wäre etwa die 2003 aus der Taufe gehobene Marke Gonow aus Taizhu, spezialisiert auf Pick-ups und SUVs. Oder Jincheng, die Hausmarke der 2001 gegründeten Qinhuangdao Jincheng Automobile Manufacture Company, einem staatlichen Hersteller der in China besonders beliebten Kleinbusse. Das Unternehmen aus Qinhuangdao nutzt dazu unter anderem alte Toyota-Technik, Basis des meistverkauften Modells Haise ist der japanische Mini-Van Hiace.

Die Vielzahl an Lizenzbauten und Joint-Ventures ist dann auch eine Erklärung für die unheimliche und vor allem hochfrequente Fertilität im Reich der Mitte. Jeder ausländische Hersteller, der ernsthaft um Marktanteile konkurrieren will, muss vor Ort gemeinsam mit einem chinesischen Partner ein eigenes Werk errichten. Dort werden dann nicht nur Hyundais, VWs oder BMWs gebaut, sondern oft auch gleich nationalisierte Varianten unter eigens gegründeten Marken. So wie etwa seit 2000 die Marke Hawtai, die ältere Hyundai-Modell unter geändertem Logo neu auflegt.

Auch wenn das Wachstum mit Hilfe von außen erfolgt: Chinas Rang in der Welt des Autos wächst rapide. Schon heute ist mehr als jede dritte weltweit angebotene Auto-Marke chinesischen Ursprungs. Das Reich der Mitte hat damit großen Anteil an der steigenden Vielfalt. Gab es 2001 lediglich 129 unterschiedliche Marken, sind es mittlerweile laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Oliver Wyman 155.

Im Westen hat es im gleichen Zeitraum eher ein Markensterben gegeben. Vor allem im Zuge der letzten großen Auto-Krise ab 2008 verschwanden einige Traditionshersteller in der Versenkung. So hat General Motors fast zeitgleich seine Mittelschichtsmarke Pontiac und den amerikanischen Opel-Ableger Saturn zu Grabe getragen. Auch das Ende von Saab und Hummer resultierte letztendlich aus der damaligen Insolvenz des einst fast allmächtigen Autokonzerns. Bei Ford heißt das jüngste Opfer Mercury, die die etwas edlere Alternative zu den Volumenmodellen mit dem blauen Oval stellte. Die Hintergründe für das bewusst exerzierte oder in Kauf genommene Aus war immer ähnlich: Die vielen Marken banden zu viele Management- und Entwicklungskapazitäten, schufen einen Kropf im Vertrieb und kosteten ihren Mutterkonzern schlussendlich einfach zu viel Geld.

Die letzte große Gründerwelle der etablierten Autohersteller datiert aus den späten 80er- und frühen 90er-Jahren. Damals schufen vor allem die japanischen Konzerne mit ihrem steigenden Selbstbewusstsein zahlreiche neue Ableger, die vor allem auf den boomenden US-Markt zielten. Bei Nissan hieß die neue Tochter Infiniti, bei Honda Acura, bei Toyota waren es Lexus und Scion. Auch Daimler wollte ab 2002 mit der wiederbelebten Marke Maybach auf den Luxus-Zug aufspringen. Doch der Rolls-Royce-Wettbewerber reiht sich mittlerweile auch in die Liste der Todesfälle ein. Die Produktion wurde eingestellt, 2013 sollen die letzten Fahrzeuge verkauft werden.

Aktuell sieht es so aus, als würde das Markensterben im Westen vielleicht sogar noch weiter gehen. Auf der Liste der kritischen Fälle findet sich unter anderem die Fiat-Tochter Lancia – die Italiener haben kürzlich angekündigt, die Produktion in ihrer Heimat komplett einzustellen und nur noch umfirmierte Chrysler-Modelle zu verkaufen. Vergleichbare Versuche sind in der Vergangenheit allerdings häufig genug gescheitert. Autos ohne Markenidentität finden nur schwer Käufer.

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