Häkkinens Rücktritt: Der letzte Dinosaurier

(adrivo.com) Die Ex-Formel-1-Garde ist ausgestroben. Lange mühte sich Mika Häkkinen nach Kräften um Anpassung. Doch die Saison 2007 fordert ihre Opfer…

In langen Jahren in der Königsklasse waren sie zu erstaunlicher Größe gewachsen – bis sie ihren Platz schließlich räumten. Ein neues Zeitalter sollte für sie die DTM werden, wo sie in der Gunst der Fans zu den Giganten zählten. Doch schon das Aus für Jean Alesi und Heinz-Harald Frentzen deutete an, dass die Anpassung an die DTM für die betagte Ex-Formel-1-Stars kaum zu bewältigen war. Die Dinosaurier der DTM verhalfen der gesamten Serie zu neuer Größe und blieben zugleich Fremdkörper. Mit dem Rücktritts Mika Häkkinens sind die DTM-Urgesteine aus der Formel 1 endgültig ausgestorben – obwohl der Finne zeitweise dem Ziel, langfristig an der Spitze zu überleben, so nah schien. Die Saison 2007 forderte ihre Opfer…

Der Faktor Motivation

Während seiner dreijährigen DTM-Karriere hatte der Hockenheimring nie zu Mika Häkkinens Paradestrecken gezählt. Doch der Vergleich zwischen seinem ersten DTM-Rennens auf der Mercedes-Hausstrecke und dem 31. und letzten Lauf fördert Kontraste zu Tage. Von Startplatz 15 aus versuchte Häkkinen im April 2005, das Feld von hinten aufzurollen. Eine Geschwindigkeitsübertretung in der Boxengasse, aus seiner Sicht ausgelöst durch ein „verwirrendes“ Verhalten des Safety-Cars, brachte dem ambitionierten Finnen eine Durchfahrtsstrafe ein. Doch Häkkinen ließ sich nicht beirren: Nach einer kampfstarken Leistung fand er sich am Ende trotz allem auf Rang acht wieder – und feierte den ersten Punktegewinn im ersten Rennen.

Auch zweieinhalb Jahre später war Häkkinen in Hockenheim kein guter Startplatz vergönnt: Nach einer Rückversetzung um zehn Startplätze, ausgelöst durch seine Sportstrafe von Barcelona, musste der zweifache Formel-1-Weltmeister von Position 20 aus ins Rennen gehen. Doch wer wie 30 DTM-Rennen zuvor eine beeindruckende Aufholjagd erwartete, sah sich enttäuscht: Lustlos umrundete Mika Häkkinen den Hockenheimring, ließ sich gar von Markus Winkelhock im 2005er-Audi ohne größere Gegenwehr überholen – und belegte am Ende Rang 17. Mika Häkkinens DTM-Karriere endete nicht nur im Motivationstief. Auch die Performance des „fliegenden Finnen“ war auf einem Tief angelangt. Wie konnte es so weit kommen?

Der Einstand nach Übermaß

Der erste Punkt im ersten Rennen, der erste Podestplatz im zweiten Rennen, der erste Sieg im dritten Rennen: Mika Häkkinen hatte sich nach seinem DTM-Debüt 2005 in Rekordzeit vom Fahranfänger zum Shooting-Star gemausert. Die ohnehin schon hohen Erwartungen an den 20-fachen Grand-Prix-Sieger stiegen innerhalb eines Monats in Schwindel erregende Höhen – und konnten nur zum Absturz führen. Nachdem bereits Jean Alesi und Heinz-Harald Frentzen bewiesen hatten, dass der Umstieg in die DTM auch von namhaften Ex-F1-Piloten nicht leicht zu bewältigen ist, fehlte auch bei Häkkinen nach seinem ersten Sieg in Spa-Francorchamps die Konstanz.

Eine Beobachtung, die Häkkinen in seinem ersten DTM-Jahr noch nicht zu stören schien. „Ich habe mein Ziel ein Rennen zu gewinnen erreicht und habe es genossen mit dem Team zusammenzuarbeiten. Insgesamt war es eine fantastische Saison“, bilanzierte der langjährige McLaren-Mercedes-Pilot beim Saisonfinale 2005. Die Gewöhnungszeit an seine C-Klasse sah Häkkinen noch im erwarteten Rahmen: „Am schwierigsten war es, das Auto zu verstehen. Die Reifen sind da nur ein Teil des Ganzen. Ein anderer Teil ist der Frontmotor, der das Fahrverhalten in den Kurven verändert. Aber umso mehr man etwas übt, desto besser wird man darin.“

Der Wille, sich anzupassen

Von einem erfolgreichen Lernprozess zeigte sich Mika Häkkinen auch zu Beginn seiner zweiten DTM-Saison überzeugt. „Ich habe mit der Umstellung auf das Linksbremsen den bestmöglichen Fahrstil für mich in einem DTM-Auto gefunden. Eine Technik, mit der ich mich sehr wohl fühle“, berichtete der Finne beim zweiten Saisonlauf 2006 auf dem EuroSpeedway Lausitz erfreut – und hätte schon tags darauf erste Früchte ernten können: Nur ein missglückter Boxenstopp verhinderte in Klettwitz den zweiten DTM-Triumph. Doch zur Sternstunde wollte es für Häkkinen auch im zweiten Jahr bei HWA-Mercedes nicht kommen: Trotz Linksbremsens und guter Vorsätze fehlte es noch immer an Konstanz, am Ende stand ein zweiter Platz in Le Mans als bestes Saisonergebnis zu Buche.

Zum Saisonende kamen erste Zweifel auf: Ereilt Mika Häkkinen früher oder später dasselbe Schicksal wie Alesi und Frentzen, die ihre DTM-Titelambitionen 2006 für gescheitert erklären mussten? Kann nach einem Jahrzehnt in der Formel 1 die Anpassung an die DTM und ihre Eigenheiten überhaupt gelingen? „Ich glaube, dass Mika es nicht so schwer wie die anderen hat, was daran liegt, wie jemand an die Sache herangeht. Die DTM ist etwas ganz anderes als die Formel 1, es wird anders gearbeitet“, sah HWA-Technikchef Gerhard Ungar bei Häkkinen immerhin bessere Anlagen als bei Jean Alesi, „die Ex-F1-Fahrer haben im Hinterkopf, wie in der Formel 1 mit Blick auf die Simulationen, die Vorgehensweise, die Aerodynamik und einiges andere gearbeitet wird. Doch das sind zwei Paar Schuhe.“

Dass Formel-1-Prominenz im teaminternen Arbeitsalltag der DTM keineswegs eine bevorzugte Behandlung einbringt, hatte auch Häkkinen schmerzlich erfahren müssen. Nach Jahren in der Formel 1, wo er seinen langjährigen McLaren-Teamkollegen David Coulthard meist fest im Griff hatte, war der teaminterne Wettbewerb mit den drei übrigen HWA-Piloten für Häkkinen eine Herausforderung, die an seinen Kräften zehrte. Die Zuversicht für 2007 ließ sich Mika Häkkinen dennoch nicht nehmen: „Jetzt kann ich immer mehr zusätzliche Informationen, die ich gewonnen habe, einsetzen. All diese Informationen an der Strecke in der Zusammenarbeit mit den Ingenieuren zusammenzusetzen, ist fantastisch. Ich weiß, dass früher oder später das entsprechende Ergebnis herauskommen wird.“

Der scheinbare Durchbruch

Und tatsächlich: Während der Winterpause habe er begriffen, wie er konstant an die Spitze vordringen könne, erzählte Mika Häkkinen zum Saisonstart 2007 von einer gewichtigen Erkenntnis. Worin diese bestand, wollte der Wahlmonegasse zwar nicht präzisieren – ließ den großen Worten jedoch Taten folgen. Auf eine gewohnt mäßige Vorstellung in Hockenheim schien der Durchbruch zu folgen. Plötzlich hatte Häkkinen ein Abonnement auf Startplätze in der ersten Reihe; sein Speed im Rennen war Sonntag um Sonntag um alle Zweifel erhaben. Doch das Schicksal spielte Häkkinen nicht in die Hände: Ein aufgeschlitzter Reifen ließ ihn in Oschersleben vom Podest rutschen; mit den halbierten Punkten für seinen Sieg beim Chaosrennen auf dem EuroSpeedway Lausitz konnte sich Häkkinen bis heute nicht abfinden.

„Man leistet gute Arbeit – und bekommt die Hälfte der Punkte abgezogen“, klagte der 39-Jährige noch Monate nach den Klettwitzer Wirrungen – und sah den dritten Saisonlauf gar als negativen Wendepunkt für die gesamte DTM: „Gewiss ist es für die DTM nicht einfach, wenn es zu Vorfällen wie dem auf dem EuroSpeedway kommt. Dort haben die Schwierigkeiten ihren Anfang genommen. Auch jetzt fällt es noch schwer, einige Punkte im Reglement und ihre Umsetzung nachzuvollziehen.“ Ebenso wie die missglückte Handhabung der für ihn unglücklich getimten Safety-Car-Phase auf dem Norisring, wo er statt des realistischen Sieges einen Nuller einfuhr, kritisierte Häkkinen auch das Agieren der Rennleitung beim Zandvoort-Rennen, wo umstrittene Manöver der Audi-Piloten ungeahndet blieben.

„Hier muss man sich den Vergleich zu Mugello vor Augen führen: Dort habe ich nach meinem Sieg bei 30 km/h meinen Helm auf der Auslaufrunde abgenommen – und habe zwei Wochen später eine Strafe dafür bekommen. Da frage ich mich: Wo liegen die Prioritäten?“ Aus dem in der Formel 1 so unpolitischen Häkkinen war ein politischer Routinier geworden, der aus Kritik an der Motorsporthoheit auch öffentlich keinen Hehl machte. Dass er für die für ihn unglücklichen Safety-Car-Phasen in Klettwitz und Nürnberg mit einem glücklichen Sieg in Mugello entschädigt wurde, war für ihn nur ein schwacher Trost. Unumwunden gestand er beim Testfreitag in Barcelona, dass ausgerechnet in Italien seine altbekannten Konstanzprobleme wieder aufgekommen waren – und stemmte sich ein letztes Mal dagegen.

Das tragische Ende

Ein überraschender zweiter Startplatz beim spanischen Zeitfahren, ein respektabler Start, sechs erste Rennrunden, während derer er Pole-Sitter Martin Tomczyk gehörig unter Druck setzte – und ein misslungener Überholversuch gegen den Audi-Piloten, der hohe Wellen schlug. „Häkkinen verwechselt DTM mit Autoscooter.“ So lauteten wenige Stunden später die wohl peinlichsten Schlagzeilen, die Häkkinen in seiner langen Karriere über sich ergehen lassen musste. Erst nachdem im weiteren Rennverlauf die Zweikämpfe zwischen Audi und Mercedes völlig eskaliert waren, es zum beispiellosen Eklat des Audi-Rückzugs kam und zeitweise die gesamte DTM-Zukunft auf dem Spiel zu stehen schien, hatte die Rennleitung ebenso wie gegen Daniel La Rosa auch gegen ihn eine drastische Sportstrafe ausgesprochen. Mika Häkkinen, der stets faire Gentleman-Fahrer, als titeltaktischer Rammbock?

Der zweifache F1-Weltmeister sah sich als Bauernopfer eines Skandals, der eiligen Aktionismus aufkommen ließ. Auch drei Wochen später beim Saisonfinale konnte Mika Häkkinen seine Entrüstung nicht verbergen: „Ich bin enttäuscht über die Entscheidung der Sportkommissare. Ich habe die Szene unzählige Male auf Aufzeichnungen gesehen. Ich konnte nicht mehr einlenken, dafür hat mein Konkurrent in mein Fahrzeug hineingelenkt. Es ist eine frustrierende Situation. Es fällt mir schwer, mich zu motivieren.“ Am Ende versank Häkkinen im Motivationsloch – und entkam ihm bis heute nicht mehr.

Seit seinem ersten Formel-1-Titel hat sich Mika Häkkinen verändert. Der Finne wurde mit den Jahren emotionaler und offener, zeigte auch in der DTM immer mehr menschliche Züge, die seiner Konstanz nicht immer zuträglich waren. Aus dem schweigsamen nordischen Ren(n)tier à la Kimi Räikkönen ist ein nachdenklicher Veteran geworden, der seine Umgebung kritisch hinterfragt – und sich nicht scheut, die Konsequenzen zu ziehen. „Es ist sehr wichtig, dass man genau versteht, was man im Leben wirklich will. Jeder sollte sich einmal die Zeit nehmen, Distanz schaffen, alleine irgendwo hinfahren, seine Gedanken ordnen.“ Nachdenken statt Rennfahren – die DTM hat ihren letzten Dinosaurier verloren.

© adrivo Sportpresse GmbH

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