Bertone

Nach 102 Jahren: Bertone ist pleite – Design oder nicht Sein

„Die Designfirma Bertone ist Geschichte“ – Mit einer knappen Überschrift über einer kurzen Meldung vermeldete die Fachpresse dieser Tage das Ende der italienischen Designfirma Bertone. Mit der Abwicklung des insolventen Unternehmens endet nach 102 Jahren eine einst glanzvolle Geschichte. Bertone prägte zwischen den 50ern und dem Ende des 20. Jahrhunderts, wie andere italienische Designer, das weltweite Formempfinden für Automobile. Doch Bertone ist kein Einzelfall. Seit der Jahrhundertwende beschleunigt sich der Niedergang der legendären Designschmieden aus Italien.

Bertone, Pininfarina, Giugiaro, Zagato, Vignale oder Scaglietti, nirgendwo auf der Welt verdichtete sich gestalterische Kompetenz im Automobilbau ab den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts so dramatisch wie im Norden Italiens. Die Geschichte von Bertone ist symptomatisch für eine Branche, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit maßgeblich die Formen der Automobile geprägt haben.[foto id=“513854″ size=“small“ position=“right“]

Als der 28jährige Giovanni Bertone 1912 seine Firma in Turin gründete, war der Begriff „Design“ in Verbindung mit dem Automobilbau noch nicht erfunden. Bertone hatte den Beruf des „Stellmachers“ gelernt. Stellmacher oder „Wagner“ bauten traditionell Räder, Wagen oder Gerätschaften für die Landwirtschaft aus Holz. Diesem traditionellen Geschäftsbereich blieb Bertone noch Jahre treu. Erst 1921 erhielt er vom 1906 gegründeten und 1925 von Fiat übernommenen Autohersteller SPA, den ersten Auftrag für eine Autokarosserie.

Bertone entwickelte in den Zwanzigern das unverwechselbare Geschäftsmodell der großen italienischen Designschmieden. Er verband Stil, gestalterische Kompetenz und handwerkliches Können mit den sich rasch entwickelnden Möglichkeiten industrieller Fertigungstechniken im Autobau.

Mit 20 Jahren stieg 1934 Giovannis Sohn Giuseppe in das Unternehmen ein. Er fokussierte sich primär auf die Gestaltung und kultivierte seinen Spitznamen „Nuccio“ zum Markenzeichen. Bereits 1937 setzte er das erste Zeichen, als er mit einer stromlinienförmigen Karosserie für den Fiat 1500 einen Turiner Designwettbewerb gewann.

Als Initiationszündung für das Zeitalter des italienischen Autodesigns gilt der Turiner Autosalon von 1954. Bertone präsentierte dort den Alfa Romeo Giulietta Sprint. Das kompakte Coupé, für den Mailänder Hersteller entworfen, vereinte geradezu unsterbliche Linien mit einem zukunftsweisenden Fahrzeugkonzept. Der Alfa verkörperte das automobile Ideal des europaweit erblühenden Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg: Elegant, klassenlos, mit 880 Kilo Leergewicht leicht, mit vier Meter Länge kompakt, mit 80 PS für damalige Verhältnisse maximal 165 km/h unterwegs und damit sauschnell. Die Kreation verkörperte nicht zuletzt einen erreichbaren Traum für einen breiten Kundenkreis.[foto id=“513855″ size=“small“ position=“left“]

Danach reihten sich zahllose Hersteller in eine lange Schlage ein, um sich neue Modelle von Bertone entwerfen zu lassen. Nuccio und sein Team kreierten an ihren Zeichenbrettern Klassiker, deren Spektrum sich vom kleinen Fiat 850 Spider bis zu mondänen Coupés vom Schlage eines BMW 3200 CS von 1962 oder eine Version des Maserati 5000 GT von 1961 spannte.

Der Fiat 850 Spider markierte 1965 einen Wendepunkt in der Firmengeschichte von Bertone. Der kommerzielle Erfolg des Modells führte zu der Entscheidung, den bereits etablierten Bau von Karosserien und Kleinserien um eine eigene Großserienfertigung zu ergänzen. Die Turiner vergrößerten ihre Produktionskapazität auf 120 Einheiten pro Tag und bauten bis 1972 rund 130.000 Einheiten des kleinen Cabrios.

Bertone feierte jedoch auch weiterhin als Designer Erfolge. Der 1966 vorgestellte Miura definierte eine neue Formsprache für Supersportwagen und eröffnete die Entwicklung für neue technische Konzepte. Der Lamborghini war das erste Serienauto mit dem Antrieb in Mittellage vor der Hinterachse. Ein Prinzip, das bis dahin ausschließlich beim Bau von Rennfahrzeugen Anwendungen gefunden hatte. Als „Hausdesigner“ für Lamborghini schuf Bertone 1974 mit dem Miura-Nachfolger Countach eine weitere Ikone, neben den Modellen Urraco, Jarama oder Espada.

Bertone zeichnete in den Siebzigern unter anderem den Fiat 131 Abarth Rallye, den Maserati Khamsin oder den Ferrari 308 GT4. Der vom Unternehmen entwickelte Fiat X1/9 oder das Coupé 262 C für Volvo fertigten die Turiner komplett selbst. Vom zweisitzigen Mittelmotorsportler Fiat X1/9 entstanden rund 180.000 Einheiten.

In den Achtzigern notierte die Firmenhistorie Highlights wie die Modelle BX und XM für Citroen, den Volvo 780 oder den Chevrolet Camaro von 1984. Inzwischen bemühten sich auch asiatische Hersteller um die gestalterische Kompetenz der Italiener. Daihatsu gab ein Sondermodell des SUV Freeclimber mit BMW-Diesel in Auftrag, den Bertone ebenso fertigte wie den großen Volvo. 1987 empfing das Unternehmen den Ritterschlag durch General Motors. Bertone durfte die Cabrio-Version des Kadetts gestalten und bauen. [foto id=“513856″ size=“small“ position=“right“]1990 vertraute zudem der koreanische Neuling im Autobau, Daewoo, die Formgebung für sein erstes Modell Espero den Italienern an.

Mit dem Tod des 83jährigen Nuccios Bertone am 26. Februar 1997 verlor die Automobilwirtschaft nicht nur einen ihrer kreativsten Köpfe. Das Unternehmen, das seinen Namen trug, war fortan im wahrsten Sinn des Wortes kopflos. Seinen Nachfolgern gelang es weder, die Kapazität der etwa 300 festangestellten Designer und Ingenieure auszulasten, noch die hohen Fertigungskapazitäten. Die Produktionsaufträge bei Bertone blieben in der Folge ebenso aus, wie beispielsweise auch bei Karman in Osnabrück.

Der endgültige Bankrott von Bertone Mitte Mai dieses Jahres war schließlich unumgänglich, weil sich kein Investor mehr für das Traditionsunternehmen gefunden hatte. Somit ist vom Glanz der italienischen „Design-Päpste“ nur noch ein Schattenreich verblieben. Pininfarina, 1930 gegründet, hat nicht zuletzt dank der engen Verbindung mit Ferrari als Designstudio überlebt. Doch die eigene Fertigung musste 2011 schließen. Scaglietti, seit 1951 ein Begriff für Karosseriebau und Design „Made in Italy“, veredelt aktuell im Auftrag Ferraris einzelne Modelle nach individuellen Kundenwünschen. Zagato hat sich auf exzentrische Studien und Kleinstserien, beispielsweise für Aston Martin zurückgezogen. Giorgio Giugiaro schließlich, der wohl berühmteste Zögling Bertones und in den 60er der Shooting-Star der Szene, rettete 2010 sein Studio Italdesign durch den Verkauf von 90 Prozent der Firmenanteile an VW.

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