Panorama: Zu Gast im Stau von Sao Paulo – Schuld war nicht der Bossanova

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." Während der WM, hofft das kritische Idol, regiert der Ball, nicht die Politik. Bilder

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Manchmal hängt eine brasilianische Fahne aus einem der Fenster der vielen Wohnsilos, die Sao Paulo wie einen Ring von immergleichen Hochbauten begrenzen. Bilder

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Vorfreude auf eine WM im eigenen Land - der mögliche Gewinn des sechsten Sterns - sieht anders aus. Bilder

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Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft sind die Schlagzeilen aus Brasiliens Wirtschaftsmetropole ein Publicity-Albtraum: Streiks, Staus, Demonstrationen. Bilder

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Bei der Frage nach dem Verkehr in Sao Paulo entlädt sich die Frustration eines Paulistano - so nennen sich die Bewohner der Millionenstadt. Bilder

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Zu Gast im Stau von Sao Paulo Bilder

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„Chaos“. Die Antwort von Cafú kommt ohne Zögern. Gerade noch hatte der zweimalige Weltmeister mit der brasilianischen Auswahl und Markenbotschafter von Volkswagen freundlich über die Aussichten der Nationalelf und seine Bewunderung für Bastian Schweinsteiger referiert. Aber bei der Frage nach dem Verkehr in Sao Paulo entlädt sich die Frustration eines Paulistano – so nennen sich die Bewohner der Millionenstadt. „Man hat versucht, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Es ist nicht genug gewesen. Täglich kommen neue Autos dazu. Die Strassen können den Zuwachs kaum bewältigen.“

In Brasilien wurden Samba und Bossanova erfunden, und ihre Ballkünstler entwickelten dazu Jogo bonito: das schöne Spiel. Noch dazu hat sich das riesige südamerikanische Land die Worte Ordem e Progresso ganz buchstäblich auf die Fahne geschrieben. Doch von Ordnung und Fortschritt, gar von einem eleganten, wendigen Fortkommen im täglichen Irrsinn des Verkehrs ist man weit[foto id=“515690″ size=“small“ position=“right“] entfernt. Wenige Tage vor der WM-Eröffnung im neuen Stadion von Sao Paulo streikten die Mitarbeiter der U-Bahn, welche die 20-Millionen-Stadt mit ein paar Linien versorgt. Aus Solidarität schlossen sich andere Berufsgruppen an. Schnell wurden Krawalle mit der Polizei daraus, vermutlich auch, weil die Stadtverwaltung zunehmend nervöser wird. „Fußball bleibt Teil unserer Kultur“, sagt Cafú, „aber das ist nicht mehr genug. Brasilien hat sich verändert, die Bevölkerung läßt sich nicht abspeisen und fordert mehr Gerechtigkeit und Reformen.“ Während der WM, hofft das kritische Idol, regiert der Ball, nicht die Politik. „Es sei denn unsere Seleção schneidet schlecht ab, dann wird es grimmig.“

Vorfreude auf eine WM im eigenen Land – der mögliche Gewinn des sechsten Sterns – sieht anders aus. Während sich der Bus am frühen Morgen schneckengleich durch die Blechmassen schiebt, sucht man vergeblich nach beflaggten Autos. Manchmal hängt eine brasilianische Fahne aus einem der Fenster der vielen Wohnsilos, die Sao Paulo wie einen Ring von immergleichen Hochbauten begrenzen. Entlang der Schnellstrasse, die den neuen Flughafen mit dem Kern der ausufernden Stadt verbinden, sind die üblichen, penetrant fröhlichen Werbeflächen der Fifa-Partner die einzige Erinnerung daran, dass hier demnächst die Party des Jahres steigt. Auf einer Anzeige am Rand eines Boulevards in der[foto id=“515691″ size=“small“ position=“left“] Innenstadt werden die Sekunden bis zum Anpfiff des Eröffnungsspiels angezeigt. Oder vielleicht ist es auch nur die Standzeit bis zur nächsten Ampel.

Beijing bricht Smogrekorde. Dieses Problem hat Lateinamerikas Mega-City dank einer günstigen Lage nicht. Sie hat sich auf Staurekorde spezialisiert, die sie kontinuierlich weiter nach oben schraubt. Jüngst waren es nach einem schweren Lkw-Unfall Ende Mai sogar rund 344 Kilometer. Fast acht Millionen Fahrzeuge sind in Sao Paulo unterwegs und eine Million Motorräder. Ein Liter Benzin und das in Brasilien populäre Ethanol, das hier aus Zuckerrohr gewonnen wird, kosten umgerechnet einen Euro. Die oberste Verkehrsbehörde hat errechnet, daß der Paulistano täglich durchschnittlich vier Stunden allein mit Pendeln beschäftigt ist. Welchen volkswirtschaftlichen Schaden der lähmende Dauerstau anrichtet, weiß auch die Stadtverwaltung dieser Industrieregion. Aber auf die Fertigstellung der einspurigen Schnellbahn Monotrilho beispielsweise, die auf Trassen hoch über den Strassen die Stadtteile des Molochs besser einbinden soll, warten die Großstädter seit nunmehr 20 Jahren.

Inzwischen ist Brasilien weltweit der viertgrößte Absatzmarkt. Dass der Boom der letzten Jahre nach einer aktuellen Flaute und der wachsenden Inflation zurückkehrt, glauben auch deutsche Hersteller. Mercedes hat zwar gerade eine Lkw-Fertigung zurückgefahren, wird aber ein neues Werk für Pkw bauen, ebenso BMW, und auch Audi wird versuchen, mit dem künftig lokal produzierten A3 auf diesem Markt Fuß zu fassen. Importierte Fahrzeuge kosten bis zu 30 Prozent mehr, wer heimische Werke unterhält, ist ähnlich wie in anderen Wachstumsmärkten von den Zöllen befreit. Hyundai ist nicht nur der Hauptsponsor der Fifa-WM und mit über 1.000 Fahrzeugen für Offizielle, Medien und Spieler allgegenwärtig. Mit dem [foto id=“515692″ size=“small“ position=“right“]Flex-Fuel-Kleinwagen HB20 haben die Koreaner ein Auto speziell für den brasilianischen Markt entwickelt. Das Fahrzeug, das 2013 zum brasilianischen Auto des Jahres gewählt wurde, kann wahlweise mit Benzin oder E22 betankt werden (Diesel ist nicht beliebt). Allein bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine sei der Bekanntheitsgrad der Marke von 25 auf 50 Prozent geschnellt, so der Hersteller. Das ist durchaus ein Grund für das kostspielige Sponsoring des Mega-Events.

Doch den eigentlichen Heimvorteil besitzt Volkswagen. Seit 1953 ist die Marke in Brasilien vertreten und gilt inoffiziell gar als heimischer Hersteller. Nicht zuletzt wegen des Millionensellers Gol (Golf) ist VW Marktführer und behauptet sich mit 20 Modellen im Volumenmarkt gegen Fiat und General Motors. Gol wie Tor. Den legendären Transporter T2 kennen die Südamerikaner übrigens als heißgeliebten Kombi. Den Spagat zwischen Absatzgelüsten und Folgen der Verkehrsprobleme leistet Volkswagen nicht nur mit kulturellem und sozialem Engagement, sondern mit Umweltprojekten wie Brunnenbau im trockenen Norden und Investitionen in die energetische Bilanz der vier Fabriken. Aber wie Hyundai setzt auch VW jetzt auf die Imageträger der Fußball-WM. Volkswagen do Brasil unterstützt die brasilianische Nationalmannschaft und fährt mit Pelé, Rivellino, Rai, Cafú, Lucas und Neymar Stars von gestern, heute und morgen auf. Es gibt sogar eine von VW unterstützte Castingshow für angehende Jung-Pelés, Programme für Fahranfänger und sogar TV-Werbespots in denen die großen Kicker Assistenzsysteme und aktuelle Features mit den Mitteln des Jogo bonito erklären.

In Jardim Paulista sieht man viele Gols, denn der Golf, der hier umgerechnet rund 12.000 Euro kostet, zählt durchaus zu den Premiummodellen. Aber in diesem angesagten Stadtteil, der mit seinen schönen Apartmentblöcken, Restaurants und Boutiquen [foto id=“515693″ size=“small“ position=“left“]eher an New York erinnert, sieht man sie plötzlich: Supersportwagen und Oberklassemodelle. Mercedes- und Bentley-Limousinen, BMW-Cabrios, Luxus-SUV, Ferrari und Lamborghini. Dass diese nicht so häufig im Blechschwarm andernorts auftauchen, hat einen Grund. Nach New York hat Sao Paulo die höchste Zahl an Hubschraubern. Aber nicht nur die kostspieligen Fahrzeuge verbringen die Nacht in bewachten Garagen. Kaum ein Haus- selbst in den Favelas -, vor dem nicht die Einfahrt vergittert ist. Wer so etwas vorweist, wird von der Autoversicherung günstiger eingestuft.

Hand in Hand mit dem Dauerstau geht in Sao Paulo auch die Kriminalität – ein weiterer Faktor, der die WM-Laune dämpft. Die großen Limousinen sind meist gepanzert, die kleineren Autos fahren grundsätzlich mit verriegelten Türen und geschlossenen Fenstern. Und nicht zuletzt deshalb entstehen viele Staus, weil Fahrer lieber verbotenerweise lange vor einer Ampel im Schritttempo anrollen, als im Stand bei Rot einen Überfall zu riskieren. Und trotzdem lässt sich ein Paulistano die Laune durch den täglichen Stress nicht verderben. „Vielleicht“, so Cafú nachdenklich, „bringt diese WM eine Wende zum Besseren, weil sie einigend wirkt.“ Also weiter im Stau und von Neymar-Gols träumen.

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