100 Jahre Fließbandproduktion – Autos am laufenden Band

Wenig hat die Welt so verändert wie die Erfindung des Automobils im Jahr 1885. Bezahlbar für fast alle wurde es aber erst durch die Einbindung des Fließbandes in den Produktionsprozess durch Henry Ford. Der Amerikaner perfektionierte die Massenfertigung mit dem Ergebnis, dass sein legendäres Model T zu erschwinglichen Preisen millionenfach zuerst Amerika und später alle anderen Kontinente eroberte. Die standardisierte Produktionstechnik wurde später nach und nach von allen anderen automobilen Großserienherstellern übernommen. Fords Stammwerk Highland Park bei Detroit war über Jahrzehnte geradezu eine Pilgerstätte für Automobilkonstrukteure fast aller anderen Marken. Sie studierten dort, wie das Fließbandsystem in die eigenen Unternehmen integriert werden konnte. Bis heute ist diese Art der Volumenproduktion weltweit das Maß der Dinge.

Anders sah es in den Werkstätten der automobilen Pioniere aus, die das Auto vor rund 130 Jahren ins Rollen brachten. Dort wurde tatsächlich noch jedes Fahrzeug komplett zusammengebaut, bevor die Arbeit am nächsten Automobil begann. Leisten konnten sich die frühen Motorkutschen deshalb [foto id=“463687″ size=“small“ position=“left“]nur die Reichen und Mächtigen. Für den amerikanischen Automobilkonstrukteur Ransome Eli Olds Anlass, im Jahre 1901 eine Fließbandfertigung zu adaptieren, so wie er sie in den Konserven- und Fleischfabriken Chicagos kennengelernt hatte.

Der Materialtransport zwischen den einzelnen Produktionsstätten erfolgte über ein Band, das sich der Amerikaner Oliver Ewans in ähnlicher Form bereits 1790 für eine Getreidemühle hatte patentieren lassen. Jetzt aber sollte es den Beginn der automobilen Großserienfertigung einleiten, wobei „groß“ aus heutiger Sicht eher klein war. Denn Olds genügten 1901 ganze 425 Einheiten seines Oldsmobile Curved Dash, um größter amerikanischer Autofabrikant zu werden – bis Henry Ford auf den Plan trat. Er machte mit dem 1908 vorgestellten Model T die ganze Welt mobil.

Die Kostenvorteile einer perfektionierten Fließbandfertigung bewirkten Verkaufspreise, die rund vier Monatslöhnen eines amerikanischen Industriearbeiters entsprachen. Europäische Kleinwagen waren mindestens doppelt so teuer, entsprechend groß war die Sensation als 1913 Fords „Tin-Lizzy“ ihren Europastart auf dem Pariser Salon annoncierte, passgenau zum Anlauf [foto id=“463688″ size=“small“ position=“right“]der Bänder im amerikanischen Werk Highland Park. Bis die Blechliesel tatsächlich in nennenswerter Stückzahl in Europa verkauft und sogar gefertigt wurde, sollten jedoch noch die dunklen Jahre des ersten Weltkriegs vergehen.

Dafür inspirierte Henry Ford dann die Anfänge der europäischen Fließbandproduktion bei Citroen, Opel, Fiat und Austin, die alle in Detroit Anschauungsunterricht nahmen. Was war das Erfolgsgeheimnis des Model T? Immerhin erhielt der fortschrittliche Ford am Ende seiner Laufbahn einen Ehrenplatz in der automobilen Ruhmeshalle – mit 15 Millionen Einheiten als bis dahin meistverkauftes Auto aller Zeiten. Beim Bandanlauf des Model T betrug der gesamte Fahrzeugbestand in den USA nur 900.000 Einheiten, 1927 bevölkerten dagegen bereits 20 Millionen Autos Amerikas Straßen.

Nicht allein die Fließbandfertigung allerdings reduzierte die Kosten für den Ford, sondern die erste durchrationalisierte Produktionskette vom Rohstoffeinkauf bis zur Fahrzeugauslieferung. Hinzu kamen die Anfänge der „Just-in-Time“-Produktion, bei der die benötigten Materialien immer nur in den gerade erforderlichen Mengen passgenau zum Zeitpunkt des Verbrauchs angeliefert werden. Dadurch wurde teure und aufwendige Lagerhaltung überflüssig, wie Henry Ford schon 1922 in seinen Lebenserinnerungen erläuterte. Tatsächlich konnte Ford den Verkaufspreis für das Model T von 780 US-Dollar im Jahr 1911 [foto id=“463689″ size=“small“ position=“left“]auf 490 US-Dollar im Jahr 1914 senken, so dass sich sogar einfache, aber gut bezahlte Ford-Arbeiter mit dem Einsatz von 98 Tageslöhnen ein T-Model leisten konnten.

Dafür forderte Henry Ford wie später auch andere Unternehmer die bedingungslose Anpassung der Arbeiter an das Fließbandsystem. Eine monotone Arbeit mit stets gleichen Handgriffen, die Kritiker immer wieder anprangerten. So 1936 in Charly Chaplins Film „Moderne Zeiten“ oder 1960 in Aldous Huxleys Roman „Schöne Neue Welt“, der im Jahre 632 „nach Ford“ spielt. Nicht nur Autos, sondern auch Menschen werden in dieser Fiktion am Fließband produziert. Dennoch beten die Menschen: „Dank sei Ford“ oder „Gelobt sei Ford am Lenkrad“. Sozialkritische Schweden schritten deshalb 1973 zur Tat und feierten den „Abschied vom Fließband bei Volvo“, wie Medien titelten. Ganz so weit war es zwar noch nicht, aber immerhin wirkten Werke wie Kalmar und Uddevalla fast wie Wallfahrtsorte auf Gewerkschafter und Arbeitssoziologen. Vor den Kulissen einer parkähnlichen Freizeitlandschaft, die hinter großen Fenstern zu sehen war, wirkten selbstständige und scheinbar glückliche Mitarbeiterteams, die jeweils komplette Autos bauten wie das Topmodell Volvo 164. Traumwerke, die sich jedoch in der harten Realität nicht rechneten und wieder geschlossen wurden.

Zurück zu den europäischen Anfängen der Autos für Millionen. Konstrukteur André Citroen hatte das System der Fließbandfertigung á la Ford 1919 nach Europa geholt und damit den Grundstein für den Aufstieg zum größten Hersteller Frankreichs gelegt. In Deutschland wollte Opel weiterhin die Nummer eins sein. Radikal und revolutionär war deshalb die [foto id=“463690″ size=“small“ position=“right“]Reaktion der Opel-Brüder auf die Inflation von 1923. Das Werk wurde komplett umgebaut und auf die Fließbandfertigung eines einzigen Kleinwagentyps in einer Ausstattung und einer Farbe ausgerichtet.

Der anfänglich stets grün lackierte Opel 4/12 PS „Laubfrosch“ avancierte mit 120.000 verkauften Einheiten zu einem Bestseller unter den frühen europäischen Volks-Wagen, zu denen ab 1925 auch der Fiat 509 zählt. Meistverkauftes Auto Italiens wird der Fiat durch Fließbandfertigung und die erste Finanzierung auf Ratenbasis durch die Fiat-Hausbank. Jetzt ging es Schlag auf Schlag: Herbert Austin mobilisierte England durch den kleinen Seven vom laufenden Band, dann forderte Adolf Hitler auf der IAA 1934 den Bau eines Autos für breite Bevölkerungsmassen.

Realisiert wurde dieser Volkswagen durch den damals schon als genial gerühmten Konstrukteur Ferdinand Porsche. Verblüfft zeigten sich die anderen deutschen Hersteller über das von Hitler verlangte gigantische Produktionsvolumen für das neue Fahrzeug von bis zu 1,5 Millionen Einheiten pro Jahr. Betrug doch die Jahresproduktion der gesamten deutschen Automobilindustrie Ende der 1930er Jahre nur zwischen 300.000 und 400.000 Einheiten. Hitlers gigantomanische Zahlen [foto id=“463691″ size=“small“ position=“left“]spuckten die Wolfsburger Fließbänder zwar nicht aus, aber immerhin wurde 1972 mit dem 15-millionsten Käfer der bis dato gültige Produktionsrekord des Ford T-Modells eingestellt. Noch gewaltiger sind die Volumen des bis heute gefertigten Golf, der sich bereits der 30-Millionen-Marke nähert.

Den absoluten Superlativ setzt jedoch der Toyota Corolla, die bis heute meistverkaufte Fahrzeugreihe der Welt. Rund 40 Millionen Einheiten rollten bislang in 13 Generationen von den Bändern, gefertigt nach dem Prinzip des schon 1936 eingeführten „kai-zen“. Dieses System der kontinuierlichen Verbesserung ermöglichte stetig höhere Qualitätsstandards und Produktivitätssteigerungen. Dazu gehören aber auch konsequent optimierte Handgriffe und Arbeiten am Band und Just-in-Time-Fertigung.

Der Stress für die Werktätigen am Fließband wird also nicht weniger, dafür aber die Zahl der benötigten Mitarbeiter. Der Industrieroboter machte es möglich. Schon 1980 wurden etwa bei Fiat von 2.700 Schweißpunkten nur noch 20 durch Menschen ausgeführt. Seit 1996 sind immer mehr rechnergesteuerte Fertigungsmaschinen im Einsatz und in diesem Jahr sogar sogenannte kollaborierende Roboter, die ohne die bislang trennenden Schutzgitter oder Lichtschranken Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten. Allerdings wirken manche Werkshallen bereits menschenleer. Für manchen eine ganz andere Art von Alptraum als sie Aldous Huxley in seiner „Schönen Neuen Welt“ erdachte.

Chronik

1790: Der Amerikaner Oliver Ewans erhält ein Patent auf einen Fließband-Prototypen, der Getreide in einer Mühle befördert
1833: In einer englischen Großbäckerei in Deptford wird das erste moderne Fließband eingesetzt
1870: Amerikanische Fleisch- und Konservenfabriken in Chicago nutzen Fließbänder
1901: Ransome Eli Olds führt für die Produktion seines Modells Oldsmobile Curved Dash das erste System einer Fertigungsstraße ein. Dadurch gelingt ihm der Aufstieg zum größten amerikanischen Automobilhersteller der Jahre 1901 bis 1904
1905: Bahlsen leistet in Deutschland Pionierarbeit mit der Einführung des Fließbandes für die Keksherstellung im Werk Hannover
1908: Das Ford Model T geht in Produktion
1911: Einzelne Bauteile des Ford Model T werden an Fließbändern gefertigt
1913: Am ersten Dezember läuft die Fließbandfertigung bei Ford an. Die Produktionszeit für ein Auto reduziert sich dadurch von zwölf Stunden auf 93 Minuten, die Kosten sinken von 850 auf 370 Dollar
1919: Bei Citroen beginnt die Fließbandproduktion
1922: Henry Ford versucht die Materiallieferung nach dem „Just-in-Time-“Prinzip umzusetzen und so die Einrichtung großer Lager abzuschaffen
1923: Opel stellt mit Einführung des Modells „Laubfrosch“ als erster deutscher Hersteller auf Fließbandproduktion um
1925: Fiat führt den Typ 509 ein, der innerhalb weniger Monate meistverkauftes Auto Italiens wird dank günstiger Preise durch Fließbandfertigung und eine Finanzierung auf Ratenbasis durch die Fiat-Hausbank
1936: Toyota stellt seine Produktion auf Fließbandfertigung um und präsentiert das System „kai-zen“, der kontinuierliche Qualitätsverbesserung. In Charly Chaplins Film „Moderne Zeiten“ werden die negativen Folgen der monotonen und schnellen Fließbandproduktion kritisiert. Der erste Fiat 500, genannt Topolino, rollt vom Band. Bis 1975 werden von zwei Generationen 4,2 Millionen Einheiten gefertigt
1938: Produktionsanlauf für den VW Käfer im neu errichteten Werk Wolfsburg
1948: Mit 35 Millionen Einheiten belegen die in jenem Jahr lancierten Pickups der Ford-F-Serie Platz zwei der ewigen Bestenliste
1960: Aldous Huxley publiziert seinen Roman „Schöne Neue Welt“, der in der fiktiven Welt im Jahre 632 „nach Ford“ spielt. Nicht nur Autos, sondern auch Menschen werden jetzt am Fließband produziert. Die Menschen beten: „Dank sei Ford“ oder „Gelobt sei Ford am Lenkrad“
1966: Produktionsstart für den Toyota Corolla, die bis heute meistverkaufte Fahrzeugreihe der Welt. Rund 40 Millionen Einheiten rollen in 13 Generationen vom Band, vertrieben wird das Auto in 150 Ländern
1969: Erfindung des Industrieroboters in den USA
1970: In Russland wird das Lada-Werk in Togliatti eröffnet. Vom Fiat-124-Lizenzbau werden bis 2012 insgesamt 14 Millionen Einheiten hergestellt
1972: Am 17. Februar wird mit dem 15.007.034sten produzierten Käfer der bisherige
Produktionsrekord des Ford T-Modells eingestellt. Insgesamt werden vom Käfer über 21 Millionen Einheiten produziert. Serienanlauf für den Honda Civic, eine Baureihe, die bis heute in 19 Millionen Einheiten hergestellt wurde
1973: In den schwedischen Städten Skövde und Kalmar baut Volvo Werke, in denen die klassische Fließbandarbeit abgeschafft wird. Während im Motorenwerk Skövde das Montagetempo von den einzelnen Arbeitsteams und nicht vom Fließband bestimmt wird, ersetzen in Kalmar sogenannte „Werkstatt-Teams“ das Fließband. Das Topmodell Volvo 164 bewegt sich dort elektrisch von Montageinsel zu Montageinsel, bei der die jeweiligen Mitarbeiterteams den Motor, die Elektrik oder das Fahrwerk einbauen. Regelmäßig werden die Arbeiter mit anderen Aufgaben betraut. Das Ganze vor der Kulisse einer parkähnlichen Freizeitlandschaft, die hinter großen Fenstern zu sehen ist
1976: Serienstart für den Honda Accord, von dem bislang in mehreren Generationen 17,5 Millionen Einheiten produziert wurden
1980: Vor allem japanische und italienische Unternehmen setzen Industrieroboter in großem Stil ein. Bei Fiat etwa werden von 2.700 Schweißpunkten nur noch 20 durch Menschen ausgeführt
1986: Volvo baut das Werk Uddevalla, in dem Teams von acht bis zwölf Mitarbeitern jeweils ein komplettes Fahrzeug montieren. 2013 wird das Werk geschlossen
1993: Bei Mercedes wird bei der S-Klasse die Taktgeschwindigkeit je Arbeitseinheit am Band auf 15 Minuten reduziert, um die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und die Produktionsqualität zu erhöhen. Heute umfasst jedoch jeder Arbeitstakt nur Sekunden
1994: Volvo schließt das Werk Kalmar 
1996: Das Unternehmen Kuka führt die PC-basierte Steuerung von Fertigungsrobotern ein
2002: Am 25. Juni überholt die Produktionszahl des Golf mit 21.517.415 Exemplaren die des Käfer. Der Golf übernimmt vom Käfer den Titel des meistgebauten Volkswagen-Modells. Bis heute wurden 29 Millionen Golf gebaut
2010: Weltweit fahren 731 Millionen Autos auf den Straßen, davon 132 Millionen in den USA, 58 Millionen in Japan, 42 Millionen in Deutschland, 36 Millionen in Italien und 31 Millionen in China
2013: Im Werk Salzgitter setzt Volkswagen erstmals kollaborierende Industrieroboter ein, also Roboter, die ohne trennende Schutzeinrichtungen wie Gitter oder Lichtschranken Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten

Weltweiter Pkw-Bestand in den zulassungsstärksten Ländern (Auswirkungen der Fließbandproduktion)

Jahr 1907: 140.000 Pkw in den USA, 32.000 Pkw in GB (Großbritannien), 31.300 Pkw in F (Frankreich), 14.700 Pkw in D (Deutschland)
Jahr 1912: 901.000 Pkw in den USA, 88.000 Pkw in GB, 76.800 Pkw in F, 49.800 Pkw in D
Jahr 1914: 1.664.000 Pkw in den USA, 132.000 Pkw in GB, 108.000 Pkw in F, 55.300 Pkw in D, 22.000 Pkw in Italien (I)
Jahr 1922: 10.704.000 Pkw in den USA, 315.000 Pkw in GB, 243.000 Pkw in F, 80.900 Pkw in D, 41.000 Pkw in I, 39.900 Pkw in Schweden (S)
Jahr 1930: 23.035.000 Pkw in den USA, 1.109.000 Pkw in F, 1.056.000 Pkw in GB, 489.000 Pkw in D, 183.000 Pkw in I, 104.000 Pkw in S
Jahr 1939: 26.226.000 Pkw in den USA, 2.034.000 in GB, 1.900.000 in F, 1.416.000 in D, 290.000 in I, 181.000 in S
Jahr 2000: 126.868.744 Pkw in den USA, 51.164.204 Pkw in Japan (J), 42.423.254 in D, 31.416.686 Pkw in I, 27.480.000 Pkw in F
Jahr 2010: 132.424.003 Pkw in den USA, 58.019.853 Pkw in J, 41.737.627 in D, 36.477.025 Pkw in I, 31.360.000 Pkw in China

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