Tradition: Vor 50 Jahren: Höhepunkt des Heckmotor-Hypes – Geschmähte und geliebte Heckschleudern

Technischer Geniestreich oder lebensgefährlicher Irrweg? Vor einem halben Jahrhundert wurden Automobile mit Heckmotor Gegenstand eines Glaubenskrieges, der sie in konträren Charts nach vorn brachte – in den Top-Ten der größten Fahrzeug-Flops und den Bestsellerlisten absoluter Tops. Während der amerikanische Verbraucheranwalt Ralph Nader sein Buch „Unsafe at any speed“ (dt.: Unsicher bei jeder Geschwindigkeit) verfasste und den Chevrolet Corvair mit Heckmotor zum Aufhänger für die erste öffentlich geführte Debatte um sichere Autos machte, avancierten gleichzeitig frische Modelle mit Motor hinten zu Medienstars auf Automobilmessen und anschließend zu Publikumsfavoriten in den Zulassungscharts. Darunter so unterschiedliche Neuheiten wie Fiat 850, NSU Prinz 1000, Renault 8 Gordini, Seat 800 oder Skoda 1000 MB, aber auch der Porsche 911.

Niemand wusste wirklich, welcher Weg in die Zukunft führte, obwohl doch etwa der Schöpfer des Mini, Alec Issigonis, den neuen Heckmotor-Hillman zum Auto erklärte, das in die falsche Richtung fuhr. So viel allgemeine Verunsicherung führte dazu, dass Renault, NSU, Simca, Subaru oder Fiat sogar parallel in die Entwicklung von Front- und Heckmotorkonzepten investierten. Tatsächlich sollte es noch über ein Jahrzehnt dauern bis die Fronten zwischen Motor vorn oder hinten endgültig geklärt waren. Endgültig? Beim Porsche 911 blieb alles beim alten Erfolgskonzept. Und: Trotz oder wegen aller Erfahrungen mit Heckmotormodellen wollen es Renault und die Daimler-Marke Smart heute neu und besser machen, jetzt mit dem Motor über und nicht hinter der Hinterachse. Dabei musste doch Mercedes den Heckmotor schon vor dem Krieg mit den erfolglosen Modellen 130H und 170H beerdigen.[foto id=“510620″ size=“small“ position=“right“]

Es war die Zeit der Aufrüstung. Nicht nur der militärischen in jenen Jahren des Kalten Krieges und der Kämpfe in Vietnam. Auch die Automobilindustrie setzte vor 50 Jahren mit immer höheren PS-Leistungen und mehr Hubraum motorische Ausrufezeichen. Die Ära der europäischen Kleinstwagen und Kabinenroller war vorüber, Mitte der 1960er Jahre verlangten die Autokäufer viele PS und vor allem Prestige. Waren Heckmotorautos jetzt noch zeitgemäß? Ja, meinten die Fachmedien und schickten die neuen Modelle VW 1500 (Typ 3) und NSU Prinz 1000 in die ersten Vorläufer heutiger Dauertests, während sich der Käfer trotz Vorkriegskonstruktion in Vergleichstests mit Opel Kadett und Ford 12 M behaupten konnte. Gar nicht zu reden vom spektakulären und von vielen Käufern sehnsüchtig erwarteten Porsche 911, dessen Produktion 1964 endlich anlief. Nein, meinten manche Produktplaner der Industrie und erklärten Modelle mit Heckmotor für unmodern, nur um durch die Autokäufer eines besseren belehrt zu werden.

So erzielte etwa Italiens größter Autohersteller nur deshalb den bis dahin größten Verkaufserfolg seiner Geschichte, weil er den eigenen Marktanalysten misstraute. Diese hatten Fiat zu einem modernen Modell mit mindestens 1,0-Liter Hubraum geraten. Stattdessen präsentierten die Turiner den Typ 850 als klassische Heckmotorlimousine mit eleganten Linien ihres hauseigenen Stardesigners [foto id=“510621″ size=“small“ position=“left“]Felice Mario Boano. Der Fiat 850 wurde ein Shootingstar, der sogar die weiterhin angebotenen italienischen Heckmotor-Volksautos Fiat 500 und 600 überholte. Mit dem 850 knackte der Konzern erstmals in nur 18 Monaten die Produktionsmarke von 500.000 Einheiten. Ein Erfolg, der durch die Sportler 850 Spider und 850 Coupé ab 1965 weiter beschleunigt wurde – und sich in ähnlicher Form in Spanien wiederholte, wo Seat die Modelle in Lizenz baute. Aber auch die erfolgreiche viertürige Eigenentwicklung Seat 800 zeigte 1964, dass der Heckmotor weiterhin populär war für kompakte Familien- und Behördenfahrfahrzeuge. Noch einmal zurück zu Fiat: Parallel zur Präsentation des 850 testeten die Italiener zukünftige Frontantriebstechnik im Primula der Konzernmarke Autobianchi.

Eine Klasse höher platzierte Skoda seinen 1000 MB, der nicht nur in Osteuropa als Meilenstein einer modernen Mittelklasselimousine gefeiert wurde. Mit innovativer Heckmotorentechnik – Skoda  setzte als erster europäischer Hersteller auf Zylinderblockproduktion im Aluminium-Druckgussverfahren – und in verschiedenen Karosserieformen wurde der 1000 MB zu einem überraschenden Exporterfolg. Knapp die Hälfte der 27 kW/37 PS bis 32 kW/43 PS entwickelnden Vierzylindertypen wurde außerhalb des Heimatmarktes verkauft, dies sogar in Australien und Neuseeland. Auch in Deutschland fand der Skoda viele Fans, vor allem so lange er als billigster Viertürer verkauft wurde. Insgesamt 3,5 Millionen Heckmotortypen liefen bei Skoda bis 1990 vom Band. Sogar noch länger wurden die Luxuslimousinen der tschechischen Marke Tatra durch im Heck platzierte Achtzylinder angetrieben. Im Jahr 1964 war es der neue Tatra 603-2, der als V8- Funktionärsauto für Furore sorgte, allerdings nicht offiziell nach Westeuropa exportiert wurde.

Hier waren es heiße Heckfeger im Kompaktformat, die erstmals zum Schrecken der etablierten Vollgaszunft wurden. Allen voran der neue Abarth OT 1600 im verspoilerten Kleinwagenkleid des Fiat 850. Seine 113 kW/154 PS soll genügt haben, um es in der Vmax mit einigen doppelt so starken Ferrari aufzunehmen. Dann der kompakte Newcomer Renault 8 Gordini, dessen 70 kW/95-SAE-PS für 170 km/h gut waren, mehr als ein BMW 1800 in die linke Autobahnspur brannte. Schließlich der NSU Prinz 1000 als Vorbote des TT, der sogar manchem Porsche seine aufgestellte Heckklappe zeigte. Und der mit leichter Verzögerung nun in Serie gehende NSU Spider als weltweit erstes Auto mit Wankelmotor. Nicht zu vergessen die Vorteile besserer Traktion für Sprint-Duelle, wenn der Motor seine Musik hinten spielte und sein Gewicht die angetriebene Hinterachse belastete. Andererseits konnten die Heckmotor-Modelle in jenen Jahren vor elektronischen Helferlein auf rutschigen Bahnen auch unberechenbar werden. Erst untersteuern, dann urplötzlich ausbrechen – die Gefahr war allgemein bekannt. Und ließ sich auch nicht durch Warner wie Ralph Nader bannen.

Nader bekämpfte den vermeintlich unsicheren Chevrolet Corvair. Dabei zählte dieser zugleich zu den Top-Ten amerikanischer Fahrzeuge, die damals Technik- und Designgeschichte schrieben. Mit Einzelradaufhängung, Turbomotoren und sachlich-schlichten Formen setzte der für amerikanische Verhältnisse kompakte Corvair einen Kontrapunkt zu allen technisch biederen und chrombeladenen Straßenkreuzern. Auch wenn er gewisse Defizite hatte, widerfuhr dem Chevy 1972 posthume Wiedergutmachung. Damals erklärte ein Weißbuch des US-Department of Transportation den Corvair mit Pendelachse für mindestens ebenso sicher wie die amerikanischen Wettbewerber.

Heckmotorautos haben eben ihr besonderes Wesen – und das seit 1886. Schließlich baute bereits Carl Benz in seinem Patentmotorwagen das Kraftwerk an der Hinterachse ein. Eine Entwicklung, die 1964 ihren Höhepunkt erreichte. 35 Marken folgten damals der Technik, die eine Kardanwelle überflüssig machte. Ob Abarth, Alpine, Amphicar, Autobianchi, BMW, Chevrolet, Fiat, Fuldamobil,  Goggomobil, Hillman, Matra-Bonnet, Mazda, Mitsubishi, Moretti, NSU, NSU-Fiat, Osi, Peel, Porsche, Ramses, Renault, Seat, Scootacar, Siata, Simca, Singer, Skoda, Steyr-Puch, Subaru, Tatra, Trojan, VW, Willys, Zagato, ZAZ:  Sie alle hatten ein oder mehrere Modelle mit wasser- oder luftgekühlten Motoren an der Hinterachse im Angebot. Ob der Heckmotor heute dank der elektronischen Assistenzsysteme vor einem Revival steht? Zwei neue Heckmotor-Modelle machen noch keinen Sommer, letztlich aber kennen die Antwort nur die Autokonstrukteure  – und König Kunde.

Heckmotor-Typen (Frühling 1964):

Abarth 595 (Italien), Abarth 595 SS, Abarth 695, Abarth 695 SS, Abarth 850 TC, Abarth 850 TC Nürburgring, Abarth 850 TC Corsa,  Abarth 1000 Berlina, Abarth 1000 Berlina Corsa, Abarth OT 850/130, Abarth OT 850/150, Abarth OT 1000, Abarth OT 1600, Simca Abarth 1150, Simca Abarth 1150 S, Simca Abarth 1150 SS, Simca Abarth 1150 Corsa, Abarth Simca 1300, Abarth Simca 2000, Alpine A110 1000 (Frankreich), Alpine A110 1100, Amphicar 770 (Deutschland), Autobianchi Bianchina Berlina Quattroposti Normal (Italien), Autobianchi Bianchina Berlina Quattroposti Special, Autobianchi Bianchina Berlina Cabriolet, BMW 700 LS (Deutschland), BMW 700 LS Coupé, Chevrolet Corvair 500/Chevrolet Monza (USA), Chevrolet Corvair Monza Spider/Corvair Corsa, Fiat 500 D (Italien), Fiat 500 Giardiniera, Fiat 600 D, Fiat 600 D Multipla, Fiat 600 D Familiare, Fiat 850, Fiat 850 Super, Fuldamobil 200 (Deutschland), Glas Goggomobil T 250 (Deutschland), Glas Goggomobil T 300, Glas Goggomobil T 400, Glas Goggomobil TS 250 Coupé,  Glas Goggomobil TS 300 Coupé, Glas Goggomobil TS 400 Coupé, Hillman Imp (Großbritannien), Matra-Bonnet Djet V (Frankreich), Matra-Bonnet Djet V S, Mazda R 360 Coupé (Japan), Mazda 360 Sedan, Mitsubishi Minica (Japan), Mitsubishi Colt 600, Moretti 500 S Berlina (Italien), Morettti 750 S Berlina, Moretti 850 S Berlina, Moretti 850 S Coupé, Moretti 850 SS Coupé, Moretti 850 S Spider, NSU Prinz 4 (Deutschland), NSU Sport Prinz, NSU Wankel Spider, NSU Prinz 1000, NSU-Fiat Jagst 770 (Deutschland), Osi 850 Coupé (Italien), Peel Trident (Großbritannien), Porsche 356 C (Deutschland), Porsche 356 SC, Porsche 911, Scootacar de Luxe (Großbritannien), Trojan 200 (Großbritannien), Ramses (Ägypten), Renault Dauphine (Frankreich), Renault Dauphine Gordini, Renault 8, Renault 8 Major, Renault 8 Gordini, Renault Caravelle 1100 Coupé, Renault Caravalle 1100 Cabrio, Seat 600 D (Spanien), Seat 800, Siata Auto Copin (Italien), Siata Coupé 850, Simca 900 (Frankreich), Simca 1000, Simca 1000 Coupé, Singer Chamois (Großbritannien), Skoda 1000 MB (Techoslowakei), Stey-Puch 500 D (Österreich), Steyr-Puch 650 T, Steyr-Puch 650 TR, Steyr-Puch 700 C, Steyr-Puch 700 E, Subaru 360 (Japan), Tatra 603-2 (Tschechoslowakei), Volkswagen 1200 (Deutschland), Volkswagen 1200 Cabriolet, Volkswagen 1200 A, Volkswagen 1500 N, Volkswagen 1500 N Variant, Volkswagen 1500 S, Volkswagen 1500 S Variant, Volkswagen Karmann-Ghia 1200 Coupé, Volkswagen Karmann-Ghia 1200 Cabriolet, Volkswagen Karmann-Ghia Coupé 1500 S, Willys Interlagos A 108 (Brasilien), Willys Renault Dauphine, Willys Renault Gordini, Willys Renault Dauphine 1093, Zagato Zimp (Italien), ZAZ 966 (UDSSR)  

Ausgewählte Motorisierungen:

Abarth 850 TC mit 0,85-Liter-(38 kW/52 PS)-Vierzylinder-Benziner

Abarth 850 TC Nürburgring mit 0,85-Liter-(40 kW/55 PS)-Vierzylinder-Benziner

Abarth OT 1600 mit 1,6-Liter-(113 kW/154 PS)-Vierzylinder-Benziner

Abarth Simca 2000 mit 2,0-Liter-(149 kW/202 PS)-Vierzylinder-Benziner

Alpine A110 1100 mit 1,1-Liter-(49 kW/66-SAE PS)-Vierzylinder-Benziner

Amphicar 770 mit 1,1-Liter-(28 kW/38 PS)-Vierzylinder-Benziner

Autobianchi Bianchina Berlina Quattroposti Normal mit 0,5-Liter-(16 kW/21,5 SAE-PS)-Zweizylinder-Benziner

BMW 700 LS mit 0,7-Liter-(24 kW/32 PS)-Vierzylinder-Benziner

Chevrolet Corvair Corsa mit 2,7-Liter-(104 kW/142-SAE-PS)-Sechszylinder-Benziner

Fiat 850 mit 0,85-Liter-(25 kW/34 PS)-Vierzylinder-Benziner

Glas Goggomobil T 250 mit 0,25-Liter-(10 kW/13,6 PS)-Zweizylinder-Benziner

Fuldamobil 200 mit 0,2-Liter-(7 kW/20-PS)-Einzylinder-Benziner

Hillman Imp mit 0,9-Liter-(29 kW/39 PS)-Vierzylinder-Benziner

Matra-Bonnet Djet V mit 1,1-Liter-(53 kW/72 SAE-PS)-Vierzylinder-Benziner

Mazda R360 Coupé mit 0,36-Liter-(12 kW/16 PS)-Zweizylinder-Benziner

Mitsubishi Colt 600 mit 0,6-Liter-(10 kW/25 SAE-PS)-Zweizylinder-Benziner

Moretti 500 S Berlina mit 0,5-Liter-(22 kW/30 SAE-PS)-Zweizylinder-Benziner

NSU Wankel Spider mit (37 kW/50 PS)-Einscheiben-Wankel-Benziner

Osi 850 Coupé mit 0,85-Liter-(27 kW/37 PS)-Vierzylinder-Benziner

Peel Trident mit 0,05-Liter-(3 kW/4 PS)-Zweizylinder-Benziner

Porsche 356 C mit 1,6-Liter-(55 kW/75 PS)-Vierzylinder-Benziner

Porsche 911 mit 2,0-Liter-(96 kW/130 PS)-Sechszylinder-Benziner

Ramses mit 0,6-Liter-(22 kW/30 PS)-Zweizylinder-Benziner

Renault 8 Major mit 1,1-Liter-(34 kW/46 PS)-Vierzylinder-Benziner

Renault 8 Gordini mit 1,1-Liter-(70 kW/95 SAE-PS)-Vierzylinder-Benziner

Seat 800 mit 0,8-Liter-(24 kW/32 SAE-PS)-Vierzylinder-Benziner

Scootacar de Luxe mit 0,2-Liter-(7 kW/8,6 SAE-PS)-Einzylinder-Benziner

Siata Coupé 850 mit 0,85-Liter-(27 kW/37 PS)-Vierzylinder-Benziner

Simca 1000 Coupé mit 0,95-Liter-(39 kW/ 53 SAE-PS)-Vierzylinder-Benziner

Singer Chamois mit 0,9-Liter-(29 kW/39 PS)-Vierzylinder-Benziner

Skoda 1000 MB mit 1,0-Liter-(29 kW/40 PS)-Vierzylinder-Benziner

Steyr-Puch 500 D mit 0,5-Liter-(12 kW/16 PS)-Zweizylinder-Benziner

Subaru 360 mit 0,36-Liter-(15 kW/20 PS)-Zweizylinder-Benziner

Tatra 603-2 mit 2,5-Liter-(77 kW/105 PS)-V8-Benziner

Trojan 200 mit 0,2-Liter-(7 kW/10 PS)-Einzylinder-Benziner

Volkswagen 1200 mit 1,2-Liter-(25 kW/34 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen 1500 S Variant mit 1,5-Liter-(40 kW/54 PS)-Vierzylinder-Benziner

Willys Interlagos  A108 mit 0,85-Liter-(39 kW/53-SAE PS)-Vierzylinder-Benziner

Zagato Zimp mit 0,9-Liter-(29 kW/39 PS)-Vierzylinder-Benziner

ZAZ 966 mit 0,9-Liter-(20 kW/27 PS)-Vierzylinder-Benziner

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